Ausgabe 1 >2019
1 2019 Esslinger Gesundheitsmagazin 19 nochmal ins Klinikum Esslingen gebracht. Aber auch der Zwischen- fall ist bald überwunden. Im Juni 2013 beginnt Murat Genc mit der Wiedereingliederung an seinem Arbeitsplatz als Programmierer. Bei den Nachuntersuchungen und den Knochenmarkpunktionen finden die Ärzte „keinen Hinweis auf ein Rezidiv“, also auf ein Wie- deraufflammen der Leukämie. Er muss zwar weiter Medikamente nehmen, gilt aber als geheilt. Der Krebs ist zurück Nach einem längeren, „schwierigen Urlaub voller Probleme bei den Verwandten in der Türkei“ stand Ende 2013 erneut eine Knochen- markspunktion an. „Da hatte ich irgendwie schon ein komisches Gefühl“, berichtet Murat Genc. Die erste grobe Analyse des ent- nommenen Knochenmarks sah noch ganz gut aus. „Als der aus- führliche Laborbericht dann kam, hat Dr. Weßendorf dann sehr lange im Bericht gelesen. Da wusste ich, dass etwas nicht in Ord- nung ist.“ Es hatte sich ein Rezidiv gebildet, die Leukämie war zurückgekommen. „Für den Patienten war das ein absoluter Tiefschlag“, erzählt Dr. Weßendorf. „Wir haben uns daraufhin gleich mit dem Transplanta- tionszentrum der Uni-Klinik Ulm in Verbindung gesetzt und eine HLA-Typisierung bei Herrn Genc veranlasst.“ Denn die noch mögli- che Behandlungsoption war eine Knochenmarktransplantation. In der Knochenmarkspenderdatei der DKMS finden sich drei geeignete Spender – einer sogar mit 100-prozentiger Übereinstimmung. In Ulm beginnt die Behandlung dann zunächst mit einer hochdo- sierten Chemotherapie, die das Ziel hat, das Immunsystem mög- lichst weit zu unterdrücken und die blutbildenen Zellen im Kno- chenmark zu zerstören. Wieder muss Murat Genc dabei mit einer heftigen Komplikation fertigwerden, einer Blutvergiftung oder Sepsis. „Alles durfte passieren, nur keine Blutvergiftung. Das wusste ich.“ Im Laufschritt wird er auf die Intensivstation verlegt. „Ich habe gekämpft, ich wollte nicht weg, wollte leben“, erinnert er sich an diese schlimme Zeit. Und tatsächlich bekommen die Ärzte die Sepsis in den Griff. Außerdem erhält er eine Ganzkörper-Strahlen- therapie mit „verbrannten“ Fußsohlen und Handflächen als Neben- wirkung. „Das war eine Tortur.“ Rettende Spende Schließlich sollte die Knochenmarkstransplantation durchgeführt werden, da kam die nächste Hiobsbotschaft: Der Spender hatte zurückgezogen. „Später habe ich erfahren, dass dessen Frau hoch- schwanger war und eine schwierige Geburt unmittelbar bevor- stand.“ Also alles nochmal von vorn. Es wurde schon nach Alter- nativspendern gesucht. Schließlich erklärte sich der ursprüngliche, ideale Spender doch bereit, und so kam nach erneuter Chemo- therapie schließlich mit einem Monat Verspätung am 6. Februar 2014 der rettende Blutbeutel mit dem Spenderknochenmark. „Die letzte Chemotherapie hatte ich zudem ganz gut vertragen und die hatte offenbar auch alle noch im Körper verbliebenen Krebs- zellen restlos wegrasiert.“ Die ersten Tage nach der Transplantation im Krankenhaus hat Murat Genc dann wieder nicht so gut in Erinnerung. Mit einem umfang- reichen Medikamenten-Cocktail mussten die Reaktionen der frem- den Knochenmarkzellen auf den eigenen Körper in Schach gehal- ten werden. Schließlich aber verringerten sich die Nebenwirkungen und er konnte nach Hause entlassen werden. Seine Frau, die als Hygienbeauftrage in der Altenpflege arbeitet, hatte inzwischen die Wohnung nicht nur gründlich geputzt, son- dern auch neu streichen lassen, um möglichst alle Infektionsquel- len auszuschalten. Dann war Disziplin gefragt. Beim Essen galt es alles Rohe, wie etwa Salat, zu vermeiden. „Zwei Jahre lang habe ich das Haus nur mit Mundschutz verlassen, um möglichst keine Erkältung zu bekommen.“ Alle zwei Wochen geht es ins Klinikum Esslingen zur Untersuchung. Die Ergebnisse sind immer gut, so dass die Untersuchungsintervalle vergrößert werden können. Ab Mai 2014 heißt es in den Untersuchungsberichten nur noch lapidar „kein Hinweis auf GvHD“, also auf die Transplantat-gegen-Wirt- Reaktion. „Seit etwa fünf Jahren ist Herr Genc Leukämiefrei“, berichtet Dr. Weßendorf. „Nahezu alle Nebenwirkungen der Transplantation sind vollständig verschwunden.“ Nur gelegentlich muss er heute noch einzelnen Hautstellen mit Kortisonsalbe behandeln. Das sind die letzten Reaktionen der Spenderzellen in seinem Körper. Von der Chemotherapie sind zudem Taubheitsgefühle an den Fußsohlen geblieben und er leidet immer mal wieder – wie fast alle Krebspa- tienten – unter großer Müdigkeit, der sogenannten Fatigue. Nach zwei Jahren durfte er auch seinen Knochenmarkspender ken- nenlernen, zu dem er nach wie vor Kontakt hat. „Ich bin ihm sehr dankbar, denn ich habe durch seine Knochenmarkspende ein neues Leben bekommen“, sagt Murat Genc. „Ich lebe heute anders als früher, viel bewusster.“ Zum Genießer sei er geworden, ergänzt seine Frau. Sein größter Wunsch ist jetzt, irgendwann eigene Enkel erleben zu können. Bei drei erwachsenen Kindern stehen die Chan- cen auch dafür nicht so schlecht. so „Ich lebe heute anders als früher, viel bewusster.“
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