Ausgabe 1 >2021

>>> 1 | 2021 Esslinger Gesundheitsmagazin 31 „Wir bauen Brücken von der Klinik nach Hause: Wir unterstüt- zen Familien von Frühgeborenen und schwerkranken Kindern nach einem längeren Klinikaufenthalt dabei, im eigenen Umfeld zurechtzukommen“, erklärt sie. Der Alltag birgt Herausforderungen Dass junge Mütter wie Meike Breining der Entlassung aus der Klinik oft mit gemischten Gefühlen entgegenschauen, kann Anja Molfenter gut nachvollziehen: „Die Eltern, die wir betreuen, mussten oft Situationen durchstehen, in denen es fraglich war, ob das Kind überlebt. Da kommen viele Ängste und Unsicherheiten auf. Zumal bei einem Frühgeborenen kleine, banale Dinge, in einen ganz anderen Kontext rücken als bei einem reif geborenen Säugling: Wieviel isst und trinkt das Kind, wieviel Stuhlgang hat es? Mitunter müssen zuhause auch bestimmte Therapien fortgeführt werden. Manche gehen mit Sauerstoffgerät und Monitor nach Hause, andere brauchen noch eine Magensonde, über die sie ernährt werden. Es gilt, Finanzierungsfragen mit Krankenkasse und Ämtern abzuklären und Pflege, Medikamentenversorgung, medizinische Hilfsmit- tel oder Physiotherapie zu organisieren. Der Alltag zuhause ist also eine große Herausforderung, vor allem wenn gleichzeitig noch Geschwisterkinder zu versorgen sind. Der Sozialmedizi- nische Dienst entlastet in dieser Situation.“ Die Betreuung beginnt weit vor der Entlassung: Bei Meike Brei- ning stellt Anja Molfenter sich eine Woche nach Samuels Geburt vor und bleibt während der gesamten stationären Zeit mit der Familie in Kontakt. „Wir lernen die Patienten und ihre Bedürfnisse während des Klinikaufenthalts kennen, damit wir hinterher eine gute Vernetzungsarbeit leisten können und wis- sen, was die Familie braucht, damit der kleine Patient gut zuhause bleiben kann.“ Praktische und seelische Unterstützung Nach ihrem Aufgabengebiet gefragt, antwortet Anja Molfen- ter: „Wir sind Case-Manager. Wir übernehmen zum Beispiel Pflege oder Physio nicht selbst, sondern organisieren entspre- chende Angebote für die Familie. Dabei arbeiten wir eng und vertraut mit vielen Akteuren im Kreis Esslingen zusammen. Dass man sich untereinander kennt und die Kommunikation so gut klappt, erleichtert vieles.“ „Frau Molfenter war ein Engel für uns, ich weiß nicht, ob ich es ohne sie gepackt hätte. Sie hat sich um alles gekümmert: Phy- sio, Pflege, den Hausbesuch des Kinderarztes und so weiter. So konnten wir Eltern uns in der ersten Zeit zuhause komplett auf Samuel konzentrieren“, berichtet Meike Breining. Nicht nur die organisatorische Unterstützung war für sie wertvoll: „Es war gut zu wissen, dass da jemand ist, der sich auskennt, den man um Rat fragen kann – zur Ernährung, wenn Samuel einen wun- den Po hatte oder als sich eine OP-Narbe entzündet hat. Frau Molfenter kam in der Regel ein bis zwei Mal die Woche vorbei und auch außerhalb der Besuchstermine konnten wir sie jeder- zeit anrufen.“ Anja Molfenter ergänzt: „Gerade am Anfang ist das Wichtigste, zuzuhören und wahrzunehmen. Wahrnehmen, wenn etwas mit dem Kind nicht so ist, wie es sein sollte und dann adäquat zu reagieren. Aber auch, wahrnehmen, welche Fortschritte das Kind macht. Viele Eltern sind so angstbeladen, dass sie Positives nicht sehen. Das ist aber wichtig, damit die Familie Kraft und Mut schöpfen kann.“ Herzensangelegenheit Rund 60 bis 80 Familien pro Jahr begleitet die Sozialmedizini- sche Nachsorge am Klinikum Esslingen. Früher war das interdis- ziplinäre Nachsorgeteam rund um Anja Molfenter bei der Lebens- hilfe Göppingen angestellt, seit Mitte 2020 agiert das Klinikum Esslingen als Träger. Die Finanzierung erfolgt über die gesetzli- che Krankenkasse. Im Regelfall werden 20 Stunden Nachsorge bezahlt, im Ausnahmefall auch mal 30. Anspruch auf Unterstüt- zung haben chronisch kranke oder schwerstkranke Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre. In besonders schweren Fällen gilt der Anspruch bis 18. Voraussetzung ist, unabhängig vom Alter, dass die Nachsorge aufgrund der Art, Schwere und Dauer der Erkran- kung notwendig ist, um den stationären Aufenthalt zu verkürzen oder die anschließende ambulante Behandlung sicherzustellen. „Wenn wir sehen, dass eine Familie Unterstützung benötigt, wollen wir aber auch in den Fällen helfen, in denen die Kranken- kasse nicht greift. Deswegen ist unsere Arbeit auch auf Spenden angewiesen“, sagt Anja Molfenter. Unterstützer sind neben dem Förderverein proklinikum e.V. private Einzelspender. Für Anja Molfenter ist die Sozialmedizinische Nachsorge eine persönliche Herzensangelegenheit: „Ich habe vor 26 Jahren selbst ein schwer krankes Kind bekommen und kann bis ins Innerste nachvollziehen, wie sich das anfühlt. Wir waren völlig hilflos, damals gab es die Sozialmedizinische Nachsorge noch nicht. Mit Begleitung wäre vieles einfacher gewesen.“ Jedes der Kinder, die sie betreut, wächst ihr ans Herz – und umgekehrt. „Wir werden oft noch Jahre später zu Festen oder Geburtstagen eingeladen.“ Nicht alle Geschichten gehen gut aus. „Auch dann unterstützen wir. Zum Beispiel, indem wir die Begleitung durch ein Palliativteam organisieren. Trotzdem: Zur Beerdigung eines Kindes zu gehen, das man über Monate betreut hat, das nimmt mit.“ Andererseits schöpfe sie aber Motivation, wenn ein Kind sich gut entwickelt. So wie Samuel. „Der ist ein richtig aufgeweckter kleiner Kerl geworden“, freut sie sich. In wenigen Tagen feiert der kleine Mann seinen ersten Geburtstag. lj Florian Müller Anja Molfenter

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