Ausgabe 1 >2021

1 | 2021 Esslinger Gesundheitsmagazin 47 Ohne Vollnarkose Standardmäßig werden Patienten während einer Lungen- operation in Vollnarkose versetzt. Das bedeutet, dass die Patienten vorübergehend in einem künstlichen Koma liegen: Das Bewusstsein, das Schmerzempfinden und die Muskel- funktionen des Körpers sind medikamentös ausgeschaltet. Der Patient kann nicht mehr eigenständig atmen, so dass der Anästhesist einen biegsamen Atemschlauch über den Mund in die Luftröhre einführen und den Patienten maschinell beat- men muss. Im Unterschied zu Operationen an anderen Orga- nen muss ein dickerer Atemschlauch eingeführt werden, über den die rechte und die linke Lunge getrennt beatmet werden können, um ein „Stilllegen“ der zu operierenden Lunge wäh- rend des Eingriffs zu ermöglichen. Durch den Überdruck, den diese maschinelle Beatmung ausübt, können Traumata im Bereich der kleinen Lungenbläschen entstehen, also das Lungengewebe geschädigt werden. Bei der Ein-Lungen- Beatmung scheinen diese Effekte besonders ausgeprägt zu sein. Zusätzlich zum Operationstrauma müssen sich die Patienten daher von einem Beatmungstrauma erholen. Um dies zu vermeiden bieten die Mediziner in Esslingen die Operation ohne Intubation an. „Statt den Patienten zu intu- bieren, versetzen wir ihn medikamentös in einen Tiefschlaf“ erläutert Dr. Guido Marquardt das Verfahren. Die Muskeln reagieren normal und er atmet selbstständig. „Das Schmerz- empfinden schalten wir über eine rückenmarksnahe Regional­ anästhesie aus. Diese kombinieren wir mit einer Analog­ sedierung, also einer Kombination aus Schmerzmedikation und medikamentöser Schlafinduktion, so dass der Patient nichts von der OP mitbekommt. Im Prinzip verwenden wir die gleichen Medikamente wie bei einer Vollnarkose, nur in redu- zierter Dosis.“ Operateure und Anästhesisten brauchen viel Erfahrung Da der Patient während der Operation selbstständig atmet, sind seine Hustenreflexe und Atembewegungen vorhanden. Diese Besonderheit erfordert vom Chirurgen viel Erfahrung und Können. Er muss mit den Bewegungen der Gefäße und der Lunge, die durch die Atembewegungen ausgelöst wer- den, mitgehen. Von Seiten der Anästhesie liegt eine zusätz- liche Besonderheit darin, dass nach Eröffnung des Brust- korbs die Lunge auf der operierten Seite zusammenfällt, was zwar für die Operation gewünscht ist, den Gasaustausch des Patienten aber einschränkt. Der Anästhesist benötigt eine hohe intensivmedizinische Expertise, um den Patienten mög- lichst ruhig und sicher durch die Operation zu bringen. Insgesamt sind Sicherheit und Routine im Bereich der minimalinvasiven Operation Voraussetzung für das hoch­ spezialisierte Team aus Chirurgen, Anästhesisten, OP- und Anästhesie-Pflegekräften, das die Lungenoperationen ohne Vollnarkose durchführt. „Das können nur eingespielte Teams machen. Man muss sich gut kennen und einander vertrauen. Denn auch das Not fallmanagement muss sitzen, man braucht gute Nerven“, betont Dr. Marquardt. Bisher führen nur wenige spezialisierte Zentren Lungenopera­ tionen ohne Intubation durch. „Die Erfolge, die wir bisher mit dieser wegweisenden Methode erzielen konnten, sprechen für sich. Alle Patienten, die in Esslingen ohne Vollnarkose operiert wurden, konnten sich besser regenerieren und schneller ihre Therapien antreten, als beatmete Patienten“, so Dr. Sätzler. „Allerdings müssen wir sehr genau abwägen, für wen dieses Operationsverfahren geeignet ist. Das ent- scheiden wir für jeden Patienten individuell.“ Aufgrund der sehr guten Erfahrungen soll die NIVATS-Operation zukünftig noch häufiger angewendet werden als bisher. Das Esslinger Team nimmt damit eine bundesweite Vorreiterrolle ein und kann mit großen renommierten Kliniken der Lungenchirurgie mithalten. uk Dr. Rainer Sätzler Dr. Guido Johannes Marquardt Kontakt Thoraxzentrum Esslingen Stuttgart TESS Klinikum Esslingen Telefon 0711 3103-2451 lungenkrebszentrum@klinikum-esslingen.de „ Alle Patienten, die in Esslingen ohne Vollnarkose operiert wurden, konnten sich besser regenerieren und schneller ihre Therapien antreten, als beatmete Patienten.”

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