Ausgabe 1 >2022

36 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2022 „Psychische Erkrankungen gehörten schon vor der Pandemie weltweit zu den häufigsten Leiden. Und jetzt kommt Covid noch obendrauf“, sagt Dr. Björn Nolting, Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Esslingen. „Es gibt psychische Krankheiten, die durch Covid selbst ausgelöst werden. Fast schwerwiegender sind aber die, die als Folge der Quarantänemaßnahmen auftreten.“ Über zwei Jahre Home-Office und Home-Schooling haben soziale Isolation und Einsamkeit befördert. Viele quälen zudem finanzielle Sorgen, Existenzängste und die Furcht vor den Schrecken des Ukraine-Krieges. Corona bedeutet Kontrollverlust Menschen haben grundsätzlich ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle. „Die Pandemie kann man unter die Überschrift ,Kontrollverlust‘ stellen: Wenn wir uns hilflos fühlen, macht uns das Stress. Dieser kann zu sozialem Rückzug und psychischen Erkrankungen führen“, erklärt Dr. Nolting. Ängste vor Krieg und Klimakatastrophen verstärken das Gefühl von Ohnmacht und Ausgeliefertsein. Wer psychisch vorbelastet ist, ist besonders gefährdet. Eine Studie mit mehr als 200 Ländern weltweit aus dem Jahr 2021 zeigt, dass Depressionen und Angststörungen während der Pandemie um 25 Prozent zugenommen haben, vor allem bei Jüngeren und Frauen. Junge Menschen besonders betroffen „Die Jugend ist in dieser Zeit ‚lost‘, verloren“, so Dr. Nolting. „Viele haben Zukunftsangst. Es gibt vermehrt Schulverweigerer. Selbst die Jüngsten schaffen es teils nicht, nach dem Lockdown die Hürde zurück in die Schule zu nehmen. Wir Menschen sind soziale Wesen. Isolation tut uns nicht gut. In der ersten Welle sagte ein junger Patient mit Depressionen zu mir: Jetzt wollte ich endlich wieder Fußball spielen, aber der Lockdown schreibt mir vor, mich zurückzuziehen und zuhause zu bleiben. Es ist wie eine Abwärtsspirale.“ Der Anteil der Kinder mit psychischen Auffälligkeiten ist während der Corona-Pandemie gestiegen. Auch psychosomatische Beschwerden wie Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Niedergeschlagenheit, Schlafprobleme und Reizbarkeit haben deutlich zugenommen. „Wir behandeln Jugendliche ab 14 Jahren, die Nachfrage in der Tagesklinik und auf Station ist stark erhöht“, berichtet Dr. Nolting. „Immer mehr leiden unter Essstörungen: nicht nur unter Magersucht, sondern auch unter krankhaftem Übergewicht, also Adipositas.“ Seele im Lockdown Home-Schooling, Home-Office und Isolation in Corona-Zeiten bedeuten für viele Stress und Einsamkeit. Dr. Björn Nolting, Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Esslingen, erklärt, wie die Pandemie sich auf unsere Psyche auswirkt und wie wir uns schützen können.

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