ESSLINGER GESUNDHEITSMAGAZIN 1 > 2023 Klinikum Esslingen in Kooperation mit der Kreisärzteschaft Esslingen Erlernt Pflegeausbildung am Klinikum Esslingen Leben Behandlungsfortschritte bei Brustkrebs und gynäkologischen Krebsarten Erfolgreich Demenzsensibles Krankenhaus Erleichtert Hilfe für Patienten mit Schaufensterkrankheit
04 Meldungen 11 Frauenselbsthilfe Krebs Auffangen, informieren, begleiten: Unterstützung für Betroffene 12 Krebsvorsorge rettet Leben Experteninterview 13 Klinikum Esslingen baut Tag der offenen Tür im neuen Modulgebäude 14 Fräsen statt schneiden Schaufensterkrankheit minimalinvasiv behandeln 17 Für junge Leser Digital Junkie oder was? 18 Die Krankenhausapotheke Experten für Medikamente 20 Esslinger Neonatologie Optimal gerüstet für Frühgeborene 23 ES-Kids Wie Ärzte in den Körper schauen 26 Demenzsensibles Krankenhaus Behütet und umsorgt 29 Altersgerechte Medizin Esslinger Ärztetag 30 Traumberuf Pflege Ausbildung am Klinikum Esslingen 34 Neuer Ärztlicher Direktor Privatdozent Dr. med. Dr. med. habil. Alexander Koch 35 Förderverein proklinikum 30 Jahre Unterstützung mit Herz 36 Wie Messerstiche Gürtelrose – eine schmerzhafte Erkrankung 38 Fokus Herz Neuer Chefarzt der Kardiologie 39 Förderverein Herzklopfen 39 Impressum 40 Jobs fürs Leben am KE Ehrung langjähriger Mitarbeitender 44 Neue Kurzzeitpflegeeinrichtung Wenn es plötzlich nicht mehr alleine geht 48 Runderneuerung Ambulante Physiotherapie 50 Adressen Selbsthilfegruppen, Ambulante Dienste und mehr 18 26 44 Inhalt 42 F ür Notfälle gerüstet: Notfalltraining am Klinikum Esslingen 24 Interview: Krankenhausreform – endlich! 06 Spezialgebiet Gynäkologie: Krebs bei Frauen www.gesundheitsmagazin-esslingen.de
1 | 2023 Esslinger Gesundheitsmagazin 3 Vorwort Kaum etwas bringt uns so schnell auf andere Gedanken und fördert das eigene Wohlbefinden so einfach wie ein Spaziergang. Das alltägliche Gehen ist eine der zufriedenstellendsten Tätigkeiten, von der unsere Gesundheit, unsere Abwehrkräfte, unsere Kreativität und unser seelisches Wohlbefinden erheblich profitieren können. Schon eine moderate Bewegung, wie ein Spaziergang oder eine kleine Wanderung, haben einen nachweislichen positiven Effekt auf unsere Gesundheit. Dabei ist die Regelmäßigkeit besonders wichtig. Blutdruck, Körperfettanteil und Cholesterinanteil sinken, gleichzeitig werden das Herz-Kreislaufsystem und die Muskeln trainiert. Eine verbesserte Balance dient als Sturzprophylaxe. Studien belegen, dass bereits 20 Minuten Spazierengehen pro Tag ausreichen, um das Streßlevel zu senken. In diesem Sinne haben wir unseren Esslinger Ärztetag in diesem Jahr Herrn Dr. Martin Runge gewidmet, er sagte: „Gäbe es eine Pille, die so gut wäre wie die tägliche Bewegung, sie würde jeden Tag auf unserem Frühstückstisch liegen.“ Zeit sich zu bewegen in bewegten Zeiten! Ihr Dr. Marc Alexander Meinikheim Von der Geburt bis ins hohe Rentenalter: Die Stadt Esslingen will ihren Bewohnerinnen und Bewohnern jederzeit beste Lebensbedingungen bieten. Besonderes Augenmerk liegt dabei zum Beispiel auf der Versorgung pflegebedürftiger Menschen. Ein Thema, das nicht nur Seniorinnen und Senioren, sondern auch die Angehörigen betrifft. Die Städtischen Pflegeheime Esslingen haben daher ein neues Angebot geschaffen, das allen Beteiligten hilft: seit Februar gibt es eine Kurzzeitpflegeeinrichtung. Das Angebot richtet sich an Pflegebedürftige, die für eine begrenzte Zeit vollstationäre Pflege benötigen. Die Kurzzeitpflege soll vor allem ältere Menschen auffangen, die nach dem Krankenhausaufenthalt Unterstützung brauchen. Daher kooperieren die Pflegeheime eng mit dem Klinikum Esslingen. Und auch am Klinikum wurden besondere Angebote für eine altersgerechte medizinische Versorgung geschaffen. Bereits seit einigen Jahren behandelt das Klinikum hochbetagte Patientinnen und Patienten in einer spezialisierten, geriatrischen Einheit. Zusätzlich hat man das Konzept für ein demenzsensibles Krankenhaus entwickelt, damit Menschen mit dementieller Erkrankung im Klinikum optimal aufgehoben sind. Aber auch die Jüngsten und Kleinsten bekommen am Klinikum eine hervorragende Behandlung. Lesen Sie in dieser Ausgabe des Gesundheitsmagazins wie sich ein extrem früh geborenes Mädchen dank bester Versorgung auf der Neonatologie ins Leben kämpft. Lernen Sie außerdem Dr. Alexander Hein, den neuen Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe kennen und erfahren Sie in unserem Themenschwerpunkt, wie erfolgreich Brustkrebs und gynäkologische Krebserkrankungen am Klinikum therapiert werden können. Mit Prof. Dr. Tillman Dahme stellen wir Ihnen außerdem unseren neuen Chefarzt für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie vor. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre! Ihr Matthias Klopfer Für jede Lebenslage Matthias Klopfer, Oberbürgermeister der Stadt Esslingen a. N. Vom Glück des Gehens Dr. Marc Alexander Meinikheim, Vorstand der Kreisärzteschaft Esslingen
4 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2023 Meldungen In einem monatlichen Podcast gewähren Menschen, die am Klinikum Esslingen arbeiten, spannende Einblicke hinter die Kulissen des Krankenhauses und erklären pflegerische und medizinische Themen. Die aktuellsten Folgen: › Post Covid – wenn sich der Körper lange nicht erholt Dr. Anna Brock, Ärztin für Innere Medizin ist selbst Long-Covid-Patientin › StäB: Die Klinik kommt nach Hause Anne Liebau und Bettina Koßmann vom StäB-Team berichten über die Stationsäquivalente Behandlung der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Der Krankenhaus-Podcast: Deine GesundZEIT Haben Sie Fragen und Anregungen rund um das Esslinger Gesundheitsmagazin? Kontaktieren Sie uns: dialog@klinikum-esslingen.de Ihre Gesundheitsthemen sind gefragt! Am 6. Februar gingen die Bilder des verheerenden Erdbebens um die Welt und lösten eine Welle der Hilfsbereitschaft aus . Auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klinikum Esslingen wollten einen Beitrag leisten. Unter ihnen einige, die selbst Familie in den betroffenen Gebieten in der Türkei und Syrien haben. Zugunsten der Erdbebenopfer organisierten sie einen Kuchenverkauf am Klinikum. Insgesamt kamen 2.894 Euro bei der Aktion zusammen. Die Einnahmen gehen an die Organisation Help Dunya e.V., die durch Spendengelder Wohncontainer für obdachlos gewordene Menschen finanziert. Unterstützung für Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien Im Rahmen des Ideenwettbewerbs „Wiedereinstieg und Verbleib im Pflegeberuf“ des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg verlieh Minister Manne Lucha dem Klinikum Esslingen Anfang März eine Projektförderung in Höhe von 80.000 Euro. Das Konzept „Trainee Pädiatrie“ von Andreas Lang, Mitglied der Pflegedirektion am Klinikum Esslingen, überzeugte die Jury. Das Konzept sieht vor, die Pädiatrie in der Pflege zu stärken und Berufsanfänger, Wiedereinsteiger und auch langjährig Examinierte für den Bereich zu begeistern. „Die Pädiatrie ist ein völlig eigenständiges Fachgebiet und hier setzt unser Konzept an. Wir werden in einem sechsmonatigen blended-learning Ansatz kombiniert mit der Schulung in Theorie und Praxis vor Ort die Teilnehmenden für die Pädiatrie fit machen und damit das Berufsbild stärken“, so Andreas Lang. „Von rund 60 eingereichten Projekten durfte sich das Klinikum Esslingen über die höchstmögliche Förderung freuen. Das ist eine wertvolle Anerkennung für die innovative Arbeit der Pflege. Herzlichen Glückwunsch“, so Oberbürgermeister Matthias Klopfer. „Kinder, Neugeborene und Frühgeborene profitieren allesamt von diesem tollen und sehr modernen Ansatz einer praxisnahen Wissensvermittlung für unsere Pflegekräfte, die nun auch dank der Projektprämierung allen Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt werden kann“, freut sich Matthias Ziegler, Geschäftsführer des Klinikum Esslingen. Pflege am Klinikum Esslingen erhält 80.000 Euro Preisgeld Alle Folgen zum Nachhören: deinegesundzeit.podigee.io
1 | 2023 Esslinger Gesundheitsmagazin 5 Meldungen Das Klinikum Esslingen hat ein neues Personalwohnheim. Das frisch kernsanierte Fachwerkhaus liegt in der Webergasse, nur einen Kilometer vom Klinikum entfernt und mitten in der Esslinger Altstadt. Wer hier einzieht, genießt historisches Ambiente und modernen Wohnkomfort. Auf jedem der vier Stockwerke befindet sich eine Wohngemeinschaft mit vier bis sechs möblier ten Einzelzimmern, zwei Bädern und einer Küche. „Gemeinschaf tsleben zu preiswer ten Mieten – das stellt insbesondere für unsere Auszubildenden ein tolles Angebot dar“, so Dr. Anja Dietze, Pressesprecherin des Klinikum Esslingen. Anfang Mai ziehen die ersten Bewohnerinnen und Bewohner ein. Wohnen mit Kolleginnen und Kollegen PD Dr. Martin Faehling, Leitender Arzt der Pneumologie am Klinikum Esslingen, wurde für seine klinische Forschung im Bereich Lungenkrebs mit dem AIO-Wissenschaftspreis der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) ausgezeichnet. Die Jury würdigte mit dem Preis eine wissenschaftliche Arbeit von PD Dr. Faehling, die im Oktober 2021 im Fachjournal European Journal of Cancer erschien. Die der Publikation zugrunde liegende Studie beschäftigte sich mit den Er folgsaussichten von Immunchemotherapien bei lokal fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs . Die Arbeit wurde von der AIO-Jury als hervorragendes Beispiel einer innovativen klinischen Forschung gewertet. Als Co-Autoren wirkten an der Publikation folgende Ärztinnen und Ärzte mit: Dr. Sabine Fallscheer, Dr. Rainer Sätzler, PD Dr. Frank Heinzelmann, Dr. Sebastian Kramberg (alle Klinikum Esslingen), PD Dr. Susanne Eschmann (Marienhospital Stuttgart), Prof. Dr. Jörn Sträter (Institut für Pathologie Esslingen). In dieser Arbeit spiegelt sich, so PD Dr. Faehling, ganz besonders die hervorragende Teamleistung und die exzellente Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen insbesondere der Pneumologie, der Thoraxchirurgie und der Strahlentherapie zugunsten unserer Patienten wider. Der mit dem Preis ausgezeichnete Therapieansatz ermögliche es, dass mehr Patienten mit Lungenkrebs eine kurative Behandlung und damit Heilung erhalten. Der Preis ist mit 1.000 Euro dotiert. Die Verleihung fand anlässlich der Eröf fnungsveranstaltung des 19. AIO-Herbstkongresses in Berlin statt. Wissenschaftspreis der Deutschen Krebsgesellschaft 2022 für PD Dr. Martin Faehling
6 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2023 Spezialgebiet Gynäkologie: Krebs bei Frauen Jede achte Frau erkrankt in ihrem Leben an Brustkrebs. Eine aktuelle, großangelegte Studie belegt: Patientinnen, die an einem zertifizierten Krebszentrum behandelt werden, haben bessere Überlebenschancen. Privatdozent Dr. Alexander Hein, der neue Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, leitet das zertifizierte Brustzentrum am Klinikum Esslingen. Er erklärt, wie die Behandlung von Brustkrebs und gynäkologischen Krebsarten bei Frauen abläuft.
1 | 2023 Esslinger Gesundheitsmagazin 7 Jeder Mensch besteht aus Milliarden Zellen. Die Zellen altern und sterben nach einer Zeit ab. Gleichzeitig entstehen durch Zellteilung ständig neue Zellen. Mitunter bilden sich dabei abnorme, fehlerhafte Zellen. „Normalerweise räumt unser Immunsystem diese Zellen auf, ohne dass wir etwas davon merken. Krebszellen können sich allerdings so tarnen, dass das Immunsystem sie nicht als fehlerhaft erkennt. Sie vermehren sich unkontrolliert weiter. Ein Tumor wächst heran“, so PD Dr. Alexander Hein, der neue Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Klinikum Esslingen. Wie ein Tumor in der Brust entsteht und was die moderne Medizin dem Krebs alles entgegenzusetzen hat – das kann der erfahrene gynäkologische Onkologe seinen Patientinnen genau erklären. PD Dr. Hein erklärt aber auch: „Wir behandeln keine Tumore. Wir behandeln Frauen.“ Zur Therapieplanung gehöre immer eine Bewertung des allgemeinen Gesundheitszustandes sowie Gespräche über die persönliche Lebenssituation, Wünsche und Vorstellungen. „Wir machen einen Therapievorschlag und unterstützen die Frauen bei ihrer Therapieentscheidung.“ Maßgeschneiderte Therapiekonzepte Rund 200 Patientinnen mit neu diagnostiziertem Brustkrebs werden jährlich am Klinikum Esslingen behandelt. Für jede von ihnen erarbeitet ein interdisziplinäres Ärzteteam ein individuelles Therapiekonzept. „In der Tumorkonferenz kommen Expertinnen und Experten aus der Gynäkologie, Radiologie, Pathologie, Internistischen Onkologie, Strahlentherapie und Niederlassung zusammen. Wir besprechen die Befunde, schauen uns an wie groß der Tumor ist, wie weit er sich schon ausgebreitet hat und welche biologischen Eigenschaften er hat. Basierend darauf erstellen wir ein Therapiekonzept. Dieses berücksichtigt immer die aktuellen medizinischen Leitlinien und Studienergebnisse, die Patientinnen können also sicher sein, dass ihre Behandlung nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgt.“ Für ein bestmögliches Therapieergebnis werden in der Regel verschiedene Behandlungsbausteine wie Operation, Strahlentherapie oder Systemtherapie kombiniert. Die Tumorkonferenz tagt nach jedem Therapieschritt erneut und prüft, ob die Therapie eventuell angepasst werden muss. Enorme Fortschritte bei der Behandlung Fast 90 Prozent aller Brustkrebserkrankungen können heute geheilt werden. „Zum einen liegt das daran, dass das Screening sich in den letzten Jahren enorm verbessert hat: Tumore in der Brust werden meist in einem sehr frühen Stadium erkannt. Zum anderen können wir Brustkrebs heute sehr zielgerichtet behandeln. Uns steht ein unglaublich breiter Fächer Annette Oppermann >>> PD Dr. Alexander Hein „ Wir behandeln keine Tumore. Wir behandeln Frauen.”
8 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2023 an Krebsmedikamenten zur Verfügung“, so Dr. Hein. Auch für Patientinnen, bei denen der Krebs schon gestreut hat und nicht mehr heilbar ist, gibt es gute Nachrichten: „In vielen Fällen können wir die Erkrankung mit einer palliativen Therapie über Jahre oder gar Jahrzehnte in Schach halten – und das bei hoher Lebensqualität.“ Die Therapien seien nicht nur wirksamer, sondern auch schonender geworden: „Wenn wir operieren, können wir die Brust in der Regel erhalten oder sie wieder aufbauen. Wir müssen nicht mehr grundsätzlich alle regionalen Lymphknoten entfernen. Bestrahlung und Chemotherapie haben weniger Nebenwirkungen.“ Gibt es Nebenwirkungen, so können sie mit Medikamenten oder Hilfsmitteln verringert werden. „Zum Beispiel setzen wir spezielle Kühlsysteme ein, die bei ChemotherapiePatientinnen Haarausfall oder Nervenschäden vorbeugen können.“ Wenn es um Fragen zu Nebenwirkungen geht, können die Patientinnen sich nicht nur an die Ärzte, sondern auch an die hochqualifizierten Pflegekräfte wenden. Zum Beispiel an die Breast Care Nurses, auf Brustkrebs spezialisierte Pflegefachkräfte oder die onkologische Fachpflege. Innovative Therapien und klinische Studien Die Patientinnen am Klinikum Esslingen haben Zugang zu den neuesten Behandlungsmethoden. Dazu zählt zum Beispiel die noch junge Immuntherapie. „Der Krebsforschung ist es gelungen, Antikörper zu entwickeln, die Tumorzellen ‚enttarnen’. Sogenannte Checkpoint-Inhibitoren machen Krebszellen für das Immunsystem wieder sichtbar. Die körpereigene Abwehr wird angeschaltet und greift den Krebs an“, erklärt Dr. Hein. Immuntherapien kommen meist in Kombination mit einer Chemotherapie zum Einsatz. Die Immuntherapie ist nicht für >>> Das regelmäßige, bewusste Abtasten der Brust und der Lymphknoten kann helfen, Unregelmäßigkeiten auf die Spur zu kommen. Nicht immer sind ertastete Veränderungen bösartig. Geballte Kompetenz: Cancer Center Esslingen – CCE Das Interdisziplinäre Brustzentrum und das Gynäkologische Tumorzentrum sind Teil des Cancer Center Esslingen – CCE, gemeinsam mit vier weiteren Organzentren. Das CCE bündelt Wissen, personelle Kapazitäten und technische Ausstattung. Alle für eine moderne Krebsmedizin wichtigen Fachrichtungen arbeiten unter einem Dach zusammen. Zusätzlich gehören zum Netzwerk rund 40 externe Partner. Die Patientinnen werden von einem interdisziplinären Expertenteam gemeinsam aus einer Hand betreut, von der Diagnostik über die Therapie bis zur Nachsorge.
1 | 2023 Esslinger Gesundheitsmagazin 9 alle Krebsarten geeignet. Aber insbesondere für Frauen, die am „triple-negativen“ Brustkrebs erkrankt sind – einer besonders aggressiven Form – kann sie die Prognose deutlich verbessern. Neue Hof fnung bringen auch die innovativen AntikörperWirkstoff-Konjugate (ADC). Das Therapieprinzip: Ein Chemotherapie-Medikament wird an einen Antikörper angedockt. Dieser Antikörper funktioniert wie ein Taxi. Er transportiert den Wirkstoff direkt in die Tumorzelle. Die Chemotherapie greift also gezielt nur dort an, wo sie wirken soll. Das erhöht den Erfolg und reduziert Nebenwirkungen. ADCs lassen sich bisher nur bei einigen Tumorarten einsetzen. „In Esslingen wenden wir das Prinzip bei ausgewählten Brustkrebspatientinnen bereits an und beteiligen uns an Studien, die helfen sollen, die Therapie weiterzuentwickeln“, so Dr. Hein. Nicht nur Studien zu Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten laufen in Esslingen. Im Jahr 2022 beteiligte das Klinikum Esslingen sich an insgesamt 16 klinischen Brustkrebs-Studien. Die Studien-Aktivitäten will Dr. Hein zukünftig noch weiter ausbauen, denn: „Studienteilnehmerinnen erhalten Zugang zu neuen, innovativen Medikamenten, lange bevor diese allgemein verfügbar sind.“ Selbstverständlich ist die Teilnahme an einer Studie freiwillig. Für die Durchführung gelten strengste Sicherheitsregeln. Während der Studienteilnahme werden die Patientinnen besonders intensiv überwacht und betreut. Qualitätssiegel: DKG-Zertifikat Heute weiß man: Jede Krebserkrankung ist anders. Um aus der Vielzahl an Therapieoptionen die individuell optimale Behandlung zusammenzustellen, braucht es enorm viel Fachwissen und Erfahrung. Brustkrebspatientinnen sind daher gut beraten, sich an einem von der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Senologie zertifizierten Zentrum behandeln zu lassen. Das Interdisziplinäre Brustzentrum am Klinikum Esslingen wurde 2004 zum ersten Mal zertifiziert und wird seitdem laufend erfolgreich rezertifiziert. PD Dr. Hein, der das Zentrum seit Anfang dieses Jahres leitet, fasst zusammen, was das Siegel garantiert: „Wir müssen jährlich nachweisen, dass wir sehr hohe Qualitätsstandards einhalten. Mindestfallzahlen zeigen, dass wir über viel Erfahrung in der Behandlung von Brustkrebs verfügen. Die Ergebnisse unserer Arbeit werden regelmäßig bewertet.“ Eine aktuelle, großangelegte Studie belegt: Krebspatienten, die sich in einem zertifizierten Zentrum behandeln lassen, haben bessere Überlebenschancen. Frauen mit Brustkrebs Erkrankung an Gebärmutterhalskrebs. Neuer Chefarzt: Privatdozent Dr. Alexander Hein Anfang 2023 übernahm PD Dr. Alexander Hein die Leitung der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Klinikum Esslingen. Mit ihm gewinnt das Klinikum Esslingen einen äußerst erfahrenen Spezialisten für alle Bereiche der Gynäkologie und Geburtshilfe. Zuvor war Dr. Hein lange Jahre an der Frauenklinik am Universitätsklinikum Erlangen tätig, ab 2017 als leitender Oberarzt und stellvertretender Klinikdirektor. Nach seiner Facharztausbildung für Gynäkologie und Geburtshilfe erlangte er die Schwerpunktweiterbildungen in der Gynäkologischen Onkologie und der Speziellen Geburtshilfe und Perinatalmedizin. Er hat zum Thema Brustkrebs habilitiert und ist zertifizierter Senior-Operateur in der Brustchirurgie. Neben der Leitung des Gynäkologischen-Universitäts-Krebszentrums Franken, war er auch Koordinator des Universitäts-Brustzentrums Franken und verantwortlicher Arzt im Familiären Brust- und Eierstockkrebszentrum. Dr. Hein war an der Durchführung zahlreicher wissenschaftlicher Studien beteiligt und hat über 150 wissenschaftliche Beiträge zur Geburtshilfe, Onkologie und Gynäkologie veröffentlicht. >>> Fast 90% aller Brustkrebserkrankungen können heute geheilt werden.
10 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2023 Die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe bietet ein umfassendes Angebot für die Versorgung von sämtlichen Erkrankungen auf dem Gebiet der Gynäkologie. Neben den zertifizierten Zentren für Brustkrebs und gynäkologische Krebserkrankungen gehören auch die Endometrioseklinik und das Myom-Zentrum sowie das Beckenbodenzentrum zur Frauenklinik. Zweiter großer Schwerpunkt der Klinik ist die Geburtshilfe. Im Mutter-Kind-Zentrum kommen in familienfreundlicher, angenehmer Atmosphäre jährlich rund 1.800 Kinder zur Welt. Hebammen-Sprechstunde, Schwangeren-Sprechstunde und Elternschule bereiten die Eltern optimal auf die Geburt vor. Während der Geburt begleiten erfahrene Hebammen, Ärztinnen und Ärzte die Patientinnen. Auch für Risikoschwangerschaften und eventuelle Komplikationen ist man optimal gerüstet: Das Mutter-KindZentrum ist als Perinatalzentrum Level I anerkannt – es bietet die höchste Versorgungsstufe für zu früh geborene Kinder. zählten zu den Gruppen mit besonders großem Überlebensvorteil. Am deutlichsten profitierte eine weitere reine Frauengruppe: Bei Patientinnen mit Gebärmutterhalskrebs war die Sterblichkeit in zertifizierten Zentren um 25,9 Prozent niedriger. Spezialisten für gynäkologische Krebserkrankungen Patientinnen mit Gebärmutterhalskrebs werden am Klinikum Esslingen im zertif izierten gynäkologische Tumorzentrum behandelt. Wie das Brustzentrum steht auch dieses Zentrum unter der fachlichen Leitung der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und belegt mit der Zertifizierung regelmäßig, dass höchste Qualitätsstandards eingehalten werden. Behandelt wird am gynäkologischen Tumorzentrum das gesamte Spektrum bösartiger Erkrankungen der inneren und äußeren weiblichen Geschlechtsorgane: Scheide und Schamlippen, Eierstöcke und Eileiter, Gebärmutterhals und Gebärmutterkörper. Gynäkologische Tumore sind viel seltener als Brustkrebs. Gerade deswegen sei es sinnvoll, die Behandlung dieser Erkrankungen an zertifizierten Zentren zu bündeln, so Dr. Hein: „Da wir Mindestfallzahlen erfüllen, können unsere Patientinnen sicher sein, dass unsere Ärztinnen und Ärzte ebenso wie unsere Pflegfachkräfte ausreichend Erfahrung mitbringen. Wir haben hier Spezialistinnen und Spezialisten für jede gynäkologische Krebserkrankung.“ lj >>> Kontakt Klinikum Esslingen Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Priv.-Doz. Dr. Alexander Hein Chefarzt Telefon 0711 3103 3051 frauenklinik@klinikum-esslingen.de „ Studienteilnehmerinnen erhalten Zugang zu neuen, innovativen Medikamenten, lange bevor diese allgemein verfügbar sind.” Mammographie zur Brustkrebs-Früherkennung.
1 | 2023 Esslinger Gesundheitsmagazin 11 Als Tanja Habdank 2010 an Brustkrebs erkrankte, fühlte sie sich anfangs manchmal so, als würde ihr jemand den Boden unter den Füßen wegziehen. „Nach der Diagnose denkt man oft: Jetzt hört das Leben auf. Dann kam ich in die Selbsthilfegruppe. Dort saßen Frauen, die hatten vor 15 Jahren Krebs und waren immer noch da. Das hat mich sehr aufgebaut“, erinnert sie sich. Die heute 49- Jährige hat ihren aggressiven Brustkrebs überwunden, spurlos an ihr vorübergegangen ist die Erkrankung nicht: Die rechte Brust musste amputiert, alle regionalen Lymphknoten entfernt werden. Austausch mit anderen Betroffenen macht Mut Der Esslinger „Frauenselbsthilfegruppe Krebs“ ist Tanja Habdank bis heute treu geblieben – inzwischen leitet sie eine von ihr gegründete, zweite Gruppe und will anderen Frauen Mut machen. „Wir wollen Krebspatientinnen die Möglichkeit geben, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Denn es gibt Dinge, die verstehen nur Menschen so richtig, die in den gleichen Schuhen wie man selbst gehen.“ Zum Beispiel wie sich das ErschöpfungsSyndrom „Fatigue“ anfühlt, an dem Tanja Habdank als Folge ihrer Tumorerkrankung leidet. „Wer das nicht kennt, denkt sich: Müde? Kein Problem, mach einfach Mittagsschlaf. Aber so einfach ist das nicht.“ „Es tut gut, zu merken: Du bist nicht allein, anderen geht es ähnlich“, sagt Brigitte Peschke, die 2018 an Krebs erkrankte. Das Klinikum Esslingen vermittelte ihr damals den Kontakt zur Frauenselbsthilfe. Sie fühlte sich in der Gruppe so gut aufgehoben, dass sie nicht nur dabeiblieb, sondern seit ein paar Jahren gemeinsam mit Tanja Habdank und Kassiererin Doris Löffler im Leitungsteam arbeitet. „Unser Angebot richtet sich an Krebspatientinnen jeden Alters. Egal, um welche Krebsart es sich handelt, ob die Diagnose frisch ist oder die Erkrankung schon eine Weile zurück liegt: Alle sind willkommen, auch Angehörige.“ Vielfältiges Programm Einmal im Monat findet eine Gesprächsrunde statt. Tee, Gebäck und Kerzenlicht sorgen bei den Treffen für eine gemütliche Atmosphäre. „Wir Leiterinnen geben Informationen weiter. Oft stehen Expertenvorträge auf dem Programm. Und wir achten darauf, dass immer genügend Zeit für Gespräche ist.“ In der Gruppe tauschen die Frauen Erfahrungen aus und geben sich Tipps: Was hat euch gegen Nebenwirkungen der Chemo geholfen? Was hat eure Ernährungsumstellung gebracht? Welches Angebot für die Anschlussheilbehandlung könnt ihr empfehlen? Aber es geht nicht nur um Praktisches, auch existenzielle Ängste und Zweifel können geteilt werden: „Beim ‚Blitzlicht’ frage ich jede Frau in der Runde, wie es ihr heute geht“, so Tanja Habdank. „Wichtig: Alle Gespräche finden im geschützten Raum statt. Nichts dringt nach außen.“ „Auch wenn jemand mal nicht reden möchte, ist das in Ordnung“, ergänzt Brigitte Peschke und betont: „Natürlich wird bei uns auch mal geweint. Aber wir sind kein Trauerhaufen. Wir lachen viel miteinander, feiern gemeinsam Erfolge. Wir sind Frauen, die mitten im Leben stehen und mit ihrer Diagnose leben.“ Gemeinsam Kraft tanken Zusätzlich zu den Gesprächsrunden finden regelmäßig Stammtische und gemeinsame Unternehmungen statt: Walken, Linedance, Yoga, Essen gehen, ein Besuch beim SWR oder dem Weihnachtsmarkt standen schon auf dem Programm. „Solche unbeschwerten Tage, die mal nichts mit Krebs zu tun haben – die wirken befreiend“, weiß Brigitte Peschke. lj Das Leitungsteam der Selbsthilfegruppe: Doris Löffler, Tanja Habdank, Brigitte Peschke (von links nach rechts) Auffangen, informieren, begleiten Frauenselbsthilfe Krebs e.V., Gruppe Esslingen 2 Die Gruppenabende finden an jedem vierten Donnerstag im Monat ab 19 Uhr im evangelischen Gemeindehaus in EsslingenSirnau statt. Die Teilnahme ist kostenlos und ohne Verpflichtung. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Die Esslinger Selbsthilfegruppe gehört zum Landesverband Frauenselbsthilfe Krebs Baden-Württemberg e.V. und steht unter Schirmherrschaft der Deutschen Krebshilfe. Kontakt: Tanja Habdank, Gruppenleiterin, Telefon 0711 50432151 Brigitte Peschke, Stellvertreterin peschkeb@icloud.com Die Diagnose Krebs stellt das gesamte Leben auf den Kopf. Der Austausch mit anderen Betroffenen kann da eine wichtige Stütze sein. Tanja Habdank und Brigitte Peschke vom Verein „Frauenselbsthilfe Krebs“ in Esslingen berichten.
Frau Oppermann, dank Früherkennung kommt man Brustkrebs und Gebärmutterhalskrebs heute meist früh auf die Spur. Wie läuft die Untersuchung in Ihrer Praxis ab? Nach einem Gespräch zur Klärung ob Beschwerden vorliegen, taste ich die Brust ab, der sichtbare Teil der Genitalien wird untersucht, die Gebärmutter und Eierstöcke werden abgetastet und ich entnehme einen Abstrich vom Muttermund und Gebärmutterhals. Der Abstrich wird im Labor überprüft. Wird dabei eine schwerwiegende Veränderung festgestellt, überweise ich die Patientin entweder zur weiteren Diagnostik und Behandlung ins Krankenhaus oder zu einem niedergelassenen Spezialisten. Handelt es sich nur um leichte Veränderungen, bleiben diese unter Beobachtung: Ich bestelle die Frau nach einem gewissen Zeitraum zur erneuten Kontrolle ein. Wer hat Anspruch auf die Untersuchung? Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen für Frauen ab 20 Jahren jährlich die Vorsorge mit einen Gebärmutterhals-Abstrich. Ab 35 besteht alle drei Jahre Anspruch auf einen kombinierten Abstrich mit HPV-Test. Ab dem 30. Lebensjahr gehört zum gynäkologischen Früherkennungsprogramm eine Tastuntersuchung der Brust, vom 50. bis 70. Lebensjahr alle zwei Jahre eine Mammografie. Wer sexuell aktiv ist, hat ein erhöhtes Risiko für Gebärmutterhalskrebs – in diesem Fall rate ich auch jungen Mädchen unter 20 schon zur Früherkennung. Gibt es Risikogruppen, die besonders gefährdet sind, an Krebs zu erkranken? Ja. Es gibt eine seltene erbliche Form des Brustkrebses und Eierstockkrebs. Wenn schon die Oma und die Mutter Krebs hatten, kann ein Gentest Gewissheit bringen, ob man selbst Träger des krebsauslösenden Gens ist. Außerdem kann auch der Lebensstil eine Rolle spielen: Übergewicht, Diabetes, Nikotinkonsum, hoher Blutdruck und Bewegungsmangel erhöhen das Risiko für bestimmte Krebserkrankungen. Bestimmte Humane Papillomviren (HPV) können Gebärmutterhalskrebs auslösen. Inzwischen kann man sich gegen die sexuell übertragbaren HP-Viren impfen lassen. Was bringt der Schutz? Australien hat 2007 eines der ersten staatlich finanzierten HPVImpfprogramme für Schulmädchen eingeführt, ab 2013 wurden auch Jungen geimpft. In Studien zeigt sich in vielen Ländern seither ein deutlicher Rückgang von Genitalwarzen und Gebärmutterhalskrebs-Vorstufen. Ist es nicht ein Segen, dass man eine Krebserkrankung quasi ausrotten kann? Inzwischen wird die Impfung auch hierzulande für Mädchen seit 2007 und Jungen seit 2018 empfohlen und von der Krankenkasse übernommen. Ich plädiere schon lange sehr stark für die HPV-Impfung, und zwar für beide Geschlechter. Auch bei Männern können die Viren Krebs auslösen – zum Beispiel im Darm oder im MundRachen-Bereich. Männer und Frauen sollten und können sich also gegenseitig schützen. Das Gespräch führte Lena Jauernig Experteninterview: Vorsorge rettet Leben Je eher Brustkrebs oder Gebärmutterhalskrebs erkannt wird, desto besser sind meist die Chancen auf Heilung. Annette Oppermann, niedergelassene Gynäkologin in Esslingen, erklärt, was rund um die Früherkennung wichtig ist. 12 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2023 Kontakt Praxis Annette C. Oppermann Martinstr. 11 73728 Esslingen Telefon 0711 355738
1 | 2023 Esslinger Gesundheitsmagazin 13 Tag der offenen Tür S AMS T A G 17.06.2023 Modul Gebäude - Haus 0 11.00 -16.00 Uhr Mit Glücksrad & Kinderprogramm Detailiertes Programm unter www.klinikum-esslingen.de Klinikum Esslingen Das Qualitätskrankenhaus Besichtigung des neuen Gebäudes (Haus 0) Vielfältiges medizinisches Vortragsprogramm (u.a. Neurologie, Geriatrie und Ernährung) Gesundheitschecks (u.a. Blutzucker, Cholesterin, Neurosonographie und Reanimationstraining) Selbsthilfegruppen stellen sich vor ... und vieles mehr Save the date 17.06.2023 Gesundheitsmagazin:Layout 1 21.03.2023 16:15 Uhr Seite 1
14 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2023 Petra Herrmann ist fast 80 Jahre alt. Dies hindert sie jedoch nicht daran, ein aktives Leben zu führen. Sie besucht regelmäßig eine Gymnastikgruppe und hält sich auch sonst fit – mit Spaziergängen. Doch im vergangenen Jahr ging es dann einfach nicht mehr. Starke Schmerzen im Bein quälten die Frau. „Die Schmerzen gingen von der Hüfte bis runter in den Fuß. Sie waren so stark, dass ich nicht mehr gehen konnte“, beschreibt die 79-Jährige ihr Leiden. „Ich dachte, das ist mein Hallux und bin zum Orthopäden.“ Dieser wollte vor einem Eingrif f am Fuß erst den Blutdurchfluss der Gefäße klären lassen und schickte die Patientin dafür ins Klinikum Esslingen. Dort stellte man fest: Ein Verschluss in den Blutgefäßen des Beins verhinderte, dass das Blut fließen konnte. Dies war auch die Ursache für die starken Schmerzen. Im Volksmund heißt dieses Leiden auch Schaufensterkrankheit, weil die Betroffenen nach nur wenigen Metern Gehen immer wieder stehen bleiben müssen, bis sich die Beinmuskulatur von der Sauerstoffmangelversorgung erholt hat. Eine Operation, um den Verschluss durchgängig zu machen, sei nötig, erklärte man Petra Herrmann. Damit hatte sie nicht gerechnet. „Eine Operation in meinem Alter ist ja nicht so einfach. Doch Herr Professor Demirel hat mir alles ganz genau erklärt und mir meine Angst genommen“, berichtet sie. Professor Dr. Serdar Demirel ist seit einem knappen Jahr der Geschäftsführende Chefarzt der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie und Chefarzt der Gefäß- und Endovaskularchirurgie am Klinikum Esslingen. Er legt Gefäßpatientinnen und Gefäßpatienten Stents, führt große Bypassoperationen durch, behandelt Aneurysmen und ist Ansprechpartner bei Problemen aller Art mit Venen und Arterien. „Das faszinierende an meiner TätigFräsen statt schneiden Die Schaufensterkrankheit hindert Menschen an einem aktiven Leben. Schmerzen und Krämpfe im Bein machen das Gehen fast unmöglich. Ursache dafür sind Verschlüsse in den Blutgefäßen. Mit einer neuen minimalinvasiven Methode löst Professor Dr. Demirel die Verstopfungen in den Blutgefäßen auf. Der Eingriff verläuft in der Regel komplikationslos und die Betroffenen sind danach schnell wieder fit.
1 | 2023 Esslinger Gesundheitsmagazin 15 keit als Gefäßchirurg ist, dass ich praktisch an allen Körperteilen operiere. Und es ist eine sehr filigrane Tätigkeit“, sagt der Chefarzt. Schonende Behandlung bringt Lebensqualität zurück Die Behandlung von Gefäßverschlüssen überall im Körper gehört zur alltäglichen Arbeit von Professor Demirel und seinem Team. Dabei gibt es verschiedene Methoden. Noch vor 20 Jahren waren Operationen bei solchen Problemen zumeist blutig, die Genesung der Patientinnen und Patienten dauerte lang. Doch mittlerweile gibt es sanf tere Methoden. „Manchmal hilft nur eine große Operation. Aber 80 Prozent der Eingriffe machen wir heute minimalinvasiv“, erklärt der Gefäßchirurg. Das bedeutet: Statt einer großen OP, bei der die Chirurginnen und Chirurgen das Bein aufschneiden, werden winzige OP-Geräte durch eine kleine Öffnung ins Innere der Blutgefäße geschoben. Der Klinikaufenthalt ist dabei kurz, mei s t kann man den Eingr i f f ohne Vollnarkose durchführen. Das ist alles wesentlich schonender für die Betroffenen als eine herkömmliche OP. Eine gängige minimalinvasive Methode bei Gefäßverschlüssen ist das Aufweiten des verstopften Bereichs durch das Anwenden eines Ballons oder Setzen eines Stents. Relativ neu ist die Methode der RotationsAtherektomie. Auch sie wird minimalinvasiv – also ohne großen Schnitt – durchgeführt. „Die Methode eignet sich ausschließlich bei Verengungen oder Verschlüssen im Bein“, sagt Professor Demirel. „Und auch nur, wenn die Ablagerungen im Gefäß sehr kalkhaltig und hart sind.“ Das sei bei etwa 40 Prozent der Patientinnen und Patienten so. Dann führt der Chirurg eine Art Mini-Fräse von der Leiste aus in die Gefäße des Beins ein. Die verstopfte Stelle wird von dem Rotationskopf des Geräts mit bis zu 73.000 Umdrehungen pro Minute freigeräumt. Der Kalk wird entfernt, pulverisiert und gleich eingesaugt. Zwar gebe es noch keine Langzeitstudien zu dieser neuen Methode, sagt der Chefarzt, „aber die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass diese Methode offenbar wirkungsvoller ist als die reine Behandlung mit einem Ballon, bei der die Gefäße nur geweitet werden, der Kalk aber bleibt.“ Dabei sei das Risiko, dass das Gefäß sich wieder verschließt, deutlich größer als bei der Atherektomie. Auch seiner Patientin Petra Herrmann empfahl Professor Demirel einen solchen Eingriff. Die 79-Jährige war zunächst skeptisch. „Ich hatte Angst vor einer solchen OP. Doch Herr Professor Demirel hat mir im Vorgespräch alles sehr gut erklärt.“ Sie willigte ein – und hat dies nicht bereut. „Ich war nur anderthalb Tage im Krankenhaus“, berichtet sie. Bereits am Tag nach ihrer Entlassung aus der Klinik sei sie wieder zu Fuß zum Einkaufen gegangen. „Ich lebe allein, da muss ich mobil sein.“ Heute, mehrere Monate nach dem Eingriff, könne sie wieder fast so gut laufen wie vor einigen Jahren. Auch der Besuch ihrer Gymnastikgruppe ist kein Problem. Volkskrankheit Schaufensterkrankheit Die periphere arterielle Verschlusskrankheit, wie die Schaufensterkrankheit medizinisch korrekt heißt, ist weit verbreitet. „Sie ist mittlerweile so etwas wie eine Volkskrankheit“, sagt Professor Demirel. Durch den Verschluss der Arterie wird nicht mehr genügend Blut und damit Sauerstoff durch den Körper gepumpt. Die Folgen sind Wadenkrämpfe, Schmerzen und Probleme beim Gehen. Risikofaktoren sind laut dem Gefäßchirurgen Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck, ein hoher Cholesterinspiegel, Rauchen, Bewegungsmangel . Aber auch aktive Menschen könnten an der Schaufensterkrankheit erkranken. Denn ein weiterer Risikofaktor für die Arteriosklerose, also die Ablagerung von Fett und Kalk in den Gefäßen, ist das Alter. „Ich habe fitte aktive Patientinnen und Patienten Mitte 70 oder 80 Jahre alt, die biologisch zehn Jahre jünger sind als nach dem Kalender, aber trotzdem einen Verschluss im Bein haben“, so Professor Demirel. Zu diesen fitten Patienten gehört auch Werner Neuner. Der 84-Jährige wurde im vergangenen Jahr am Esslinger Klinikum operiert – und zwar an beiden Beinen. „Ich war immer in den Bergen wandern und jeden Tag mehrmals mi t dem Hund spazieren“, >>> Prof. Dr. Serdar Demirel 80% der Gefäßverschlüsse können am Klinikum Esslingen heute minimalinvasiv behandelt werden. Das Rotations-Atherektomie-System fräst sich durch die Verkalkung und trägt Ablagerungen in der Arterie mittels Saugfunktion ab.
16 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2023 Kontakt Klinikum Esslingen Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie Prof. Dr. Serdar Demirel, FEBVS, MHBA Geschäftsführender Chefarzt und Chefarzt der Gefäß- und Endovaskularchirurgie Telefon 0711 3103 2701 s.demirel@klinikum-esslingen.de berichtet Werner Neuner. „Doch dann bekam ich Schmerzen in den Beinen, die mit der Zeit immer schlimmer wurden. Am Schluss konnte ich keine 50 Meter mehr gehen, ohne stehenzubleiben.“ Bei Werner Neuner wandte Professor Demirel verschiedene Methoden an. Das rechte Bein wurde auf konventionelle Weise mit einer Operation sowie einem Stent behandelt. Für das linke Bein, in dem die Ablagerung sehr verhärtet war, eignete sich die Rotations-Atherektomie. Der Krankenhausaufenthalt war bei der zweiten OP im linken Bein deutlich kürzer als beim ersten Mal bei der großen Operation. Bereits nach drei Tagen konnte Werner Neuner die Klinik verlassen. „Heute kann ich problemlos wieder zwei Kilometer am Stück laufen. Das ist fast so gut wie vor meiner Erkrankung“, freut sich der 84-Jährige. Nun stehen wieder tägliche Spaziergänge auf seinem Programm. Jeder kann vorbeugen Diese empfiehlt Professor Demirel übrigens allen Menschen. „Um Gefäßverschlüssen vorzubeugen, ist viel Bewegung wichtig.“ Außerdem sollte man aufs Rauchen verzichten und auf sein Gewicht und eine gesunde Ernährung achten. „Man kann viel für die eigene Gesundheit tun >>> Gut informiert Im ES-TV Video-Interview schildert Professor Dr. Serdar Demirel die Methode der Rotations-Atherektomie. Auch die Patienten Werner Neuner und Petra Herrmann kommen zu Wort. https://www.klinikum-esslingen.de/ gefaess-thorax Werner Neuner und Petra Herrmann im Interview und dafür, fit und beweglich zu bleiben“, sagt der Arzt. Und wenn es dann doch zu Problemen kommt, stehen die Gefäßchirurgen mit ihren sanften OP-Methoden bereit. Der Vorteil dieser minimalinvasiven Methoden ist laut Professor Demirel, dass diese sich auch für sehr alte Menschen eignen. „Eine OP ist immer ein Risiko. Aber bei den minimalinvasiven Eingriffen arbeiten wir mit Lokalanästhesie. Das ist wesentlich schonender als eine Vollnarkose. Das kann ich guten Gewissens auch einem 85-Jährigen empfehlen.“ Für Petra Herrmann und Werner Neuner haben sich die Eingrif fe gelohnt . Die Operationen haben sie problemlos überstanden. Und ihre Lebensqualität hat sich entscheidend geändert. „Ich bin sehr zufrieden. Ich kann wieder laufen. Und das ist doch das Wichtigste“, sagt die Patientin. gwn
1 | 2023 Esslinger Gesundheitsmagazin 17 für junge Leser Ein Tag ohne Computer oder Smartphone – für Jugendliche mit Social Media – oder Computerspiel-Sucht wäre das eine Vollkatastrophe. Die Sucht kann so weit gehen, dass die Betroffenen nur noch in einer virtuellen Welt leben und ihr echtes Leben verzocken. Digital Junkie oder was? „Nomophobie“ ist ein Fachbegriff, der für „No-Mobile-Phone-Phoebia“ steht – die Angst, keinen Handyzugang zu haben. „Gaming Disorder“, Online-Spielsucht, ist seit 2018 eine von der Weltgesundheitsorganisation WHO anerkannte Krankheit. Der Trend-Ausdruck „Digital Detox“ – Entgiften von digitalen Medien – deutet darauf hin, dass zu viel Internet wie Gift für uns sein kann. Und Suchtforscher haben die „internetbezogene Störung“, die Abhängigkeit von Social Media, Internet und Zocken, längst auf dem Schirm. Untersuchungen zeigen, dass vor allem Jugendl iche von Social Media- und Gaming-Sucht betroffen sind. Bin ich süchtig? Für diese Sucht gibt es typische Warnsignale: Viele betroffene Jugendliche haben Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, ein schlechtes Selbstwertgefühl, sie werden schnell gereizt oder sind lustlos. Manche schwänzen sogar die Schule und geben Freundschaften und andere Freizeitaktivitäten auf, damit sie mehr Zeit zum Scrollen und Zocken haben. Dass sie so viel Zeit am Handy oder Computer verbringen, versuchen sie anderen zu verheimlichen. Gedanklich leben sie nicht mehr in der echten Welt, sondern in der virtuellen. Ohne Smartphone oder Computer bekommen Süchtige Entzugserscheinungen: sie reagieren aggressiv, panisch oder depressiv. Glückshormon-Trigger Warum Gaming und Social Media süchtig machen können, erklären Wissenschaftler so: Wenn wir eine Social Media App öffnen oder ein Spiel beginnen und dann eine Überraschung erleben – wenn wir also zum Beispiel Likes auf Instagram bekommen oder ein Spiel gewinnen – dann schüttet unser Gehirn das Glückshormon Dopamin aus. Wenn sich dieser Vorgang regelmäßig wiederholt, trainiert uns das dazu, immer öfter und länger am Handy oder Computer zu sitzen. Wir wollen den Dopamin-Flash immer wieder. Professionelle Mediendesigner gestalten Apps und Spiele systematisch so, dass dieses Verlangen noch verstärkt wird. Wo gibt es Hilfe? Erste Anlaufstellen für süchtige Jugendliche sind zum Beispiel Psychologische Beratungsstellen, Suchtberatungsstellen oder die Psychiatrische Institutsambulanz der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Klinikum Esslingen. Die Fachleute hören zu und beraten, welche Hilfsangebote im Einzelfall sinnvoll sind. Vielen hilft eine Therapie dabei, einen verantwortlichen Umgang mit dem Internet zu lernen. Dauerhaft ganz auf das Internet zu verzichten, würde keinen Sinn machen – schließlich gibt es praktisch keinen Beruf ohne PC mehr. Die Heilungsquote sei mit 70 bis 80 Prozent sehr hoch, so das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters. nw Tipps für eine gesündere Mediennutzung 1. M ach so viel wie möglich old-school: analoge Uhr statt Smart-Watch, Wecker statt Handy, Terminplaner als Buch statt Google-Calendar. 2. S tell Push-Nachrichten ab – die „trainieren“ uns, dauernd auf unser Handy zu schauen. 3. V erbanne dein Handy für bestimmte Zeiten aus deinem Zimmer, zum Beispiel während du schläfst und solange du Hausaufgaben machst.
18 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2023 Was ist was? Krankenhausapotheke Arzneimittelversorgung Alle Medikamente, die Ärztinnen und Ärzte am Klinikum Esslingen verschreiben, werden von der hauseigenen Krankenhausapotheke bereitgestellt. Zusätzlich beliefert die Apotheke weitere Krankenhäuser in der Region. „Unser Lager umfasst circa 1.300 verschiedene Produkte“, so Christian Philipp Jüttner (4), Leiter der Esslinger Krankenhausapotheke. Besonders häufig zum Einsatz kommen Betäubungs- und Schmerzmittel, zum Beispiel im Rahmen von Operationen. „Morphium, Oxycodon und Co. vewahren wir diebstahlsicher im Tresor (5).“ Auch für andere Produkte gelten spezielle Anforderungen: Leicht entzündbare Stoffe wie Desinfektionsmittel werden im Brandschutzraum gelagert, Ernährungslösungen oder Insulin in speziellen Kühl- und Gefrierschränken (6). Logistik „Die Belieferung der Stationen wickeln wir schnell und sicher über ein elektronisches Bestellsystem ab“, berichtet Apotheker Jüttner. Die Stationen schicken ihre Arzneimittelbestellungen an die Apotheke. Ein Apotheker oder eine Apothekerin prüft diese auf Plausibilität. Die PTAs stellen die Lieferung zusammen, buchen die Medikamente per Scanner aus und senden sie an die Stationen. „Wir werden zukünftig noch digitaler: Nächstes Jahr führen wir das sogenannte Unit-Dose-System ein. Ein Automat stellt dann bereits in der Apotheke die Medikamente für jeden Patienten individuell zusammen, verpackt und etikettiert sie. Nach einer Endkontrolle durch die Apotheker werden die verpackten Arzneimittel auf die Stationen gesendet. Unit-Dose entlastet die Pflege und minimiert Fehler bei der Ausgabe.“ Herstellung von Arzneimitteln In der Apotheke sind zwei Reinräume eingerichtet (1). Unter Einhaltung hoher Sicherheits- und Hygienestandards werden hier Medikamente hergestellt, hauptsächlich für die Krebstherapie (3). „Diese sogenannten Zytostatika stellen wir für jeden Patienten nach individuellen Vorgaben zusammen. Alle unsere PTAs haben hierfür eine onkologische Zusatzausbildung absolviert“, so Jüttner. Rund 16.000 Zytostatika stellt die Apotheke jährlich her. Als eines von wenigen Krebszentren in der Region ist das Klinikum Esslingen als Onkologisches Zentrum zertifiziert. Im Rahmen der Zertifizierung hat auch die Krankenhausapotheke eine besonders hohe Qualität bescheinigt bekommen. Auch Spezialnahrung für Frühgeborene sowie individuell dosierte Kapseln, Salben und Lösungen für die Kinderklinik stellen die PTAs her. Bei den Wirkstoffen zählt oft jedes Mikrogramm, abgewogen wird mithilfe einer Hoch- präzisionswaage (2). Experten für Medikamente In der Apotheke des Klinikum Esslingen arbeiten fünf Apotheker, sieben Pharmazeutisch-Technische Assistenten (PTA) und fünf PharmazeutischKaufmännische Assistenten. Das Team versorgt die Stationen zuverlässig mit Arzneimitteln, Medizinprodukten und Diagnostika und trägt mit geballtem Fachwissen dazu bei, dass alle Patienten die optimale Medikation erhalten. 1 2 3
1 | 2023 Esslinger Gesundheitsmagazin 19 Pharmazeutische Beratung Medikamentöse Therapien sind mitunter hochkomplex. Intensivpatienten zum Beispiel benötigen oft bis zu 20 Medikamente gleichzeitig. Da gilt es genau auf Zusammensetzung, Wirkung und Nebenwirkungen zu achten. Die Apothekerinnen und Apotheker stehen den Ärzten und Pflegefachkräften mit ihrem pharmazeutischen Spezialwissen zur Seite. Sie beraten telefonisch, nehmen an ärztlichen Visiten teil und arbeiten an der Erstellung hausinterner Leitlinien mit. In der Arzneimittelkommision beraten sie mit Vertretern der Ärzteschaft darüber, welche Medikamente eingekauft werden. Im Rahmen des Antibiotic-Stewardship-Programms engagieren sie sich für einen verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika. Zudem setzt sich das Team für die klinische Forschung ein: „Pro Jahr sind wir an rund 40 bis 50 Studien beteiligt“, berichtet Chefapotheker Jüttner. Qualität und Sicherheit Mit vielfältigen Maßnahmen sorgt das Apothekenteam für maximale Patientensicherheit. So werden zum Beispiel alle Ausgangsstoffe, die für die eigene Herstellung von Medikamenten benötigt werden, im analytischen Labor auf Qualität geprüft, bevor sie zum Einsatz kommen. Bei der Herstellung von Medikamenten arbeiten die PTAs stets nach dem Vier-Augen-Prinzip. „Wir sind zertifiziert nach ISO 9001:2008. Das bedeutet, dass wir hohe Qualitätsanforderungen erfüllen und externe Auditoren unsere Arbeit regelmäßig überprüfen. Zusätzlich sorgen interne Audits für Sicherheit“, so Jüttner. 4 6 5
20 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2023 Federleichte Superheldin Ein extrem Frühgeborenes kämpft sich ins Leben. In der Esslinger Neonatologie ist man für solche Fälle optimal gerüstet. Wenn die sechsjährige Nika nach einer Gutenachtgeschichte fragt, erzählt ihr Vater, Aleksandar Djordjevic, ihr manchmal von einer kleinen Superheldin: Die Superheldin wog nur 490 Gramm, als sie auf die Welt kam und trotzdem kämpfte sie sich tapfer ins Leben. „Papa, das bin ich, oder?“ fragt Nika dann jedesmal. Dass Nika einen schwierigen Start ins Leben hatte, merkt ihr heute keiner mehr an. Sie sei ein gesundes, aufgewecktes Kind, berichtet Aleksandar Djordjevic. An die Geburt seines ersten Kindes am 16. Oktober 2016 erinnert der heute 39-Jährige sich noch ganz genau. „Nika kam völlig unerwartet.“ Normalerweise dauert eine Schwangerschaft etwa 40 Wochen. Ende der 23. Woche klagt Nikas Mutter plötzlich über Rückenschmerzen. Sind das nur Rückenschmerzen – oder etwa Wehen? Das Paar aus Plochingen ist beunruhigt. „Wir haben im Klinikum Esslingen angerufen und die Ärzte empfahlen uns vorsorglich lieber gleich zu kommen. Wir wollten gerade los, da setzen bei meiner Frau Blutungen ein. Da dachten wir: Jetzt wird es kritisch.“ Da eine Frühgeburt droht, bekommt Nikas Mutter im Krankenhaus ein Medikament, das die Lungenreife des Kindes beschleunigt. Mithilfe eines Wehenhemmers können die Ärzte die Geburt noch eine Nacht hinauszögern, am nächsten Tag müssen sie Nika per Notkaiserschnitt holen. „Ich habe mich unglaublich hilflos gefühlt“, so Aleksandar Djordjevic. Optimale Versorgung für kleinste Patienten Ungefähr so groß wie ein Maiskolben sind Kinder, die wie Nika Anfang der 24. Schwangerschaftswoche geboren werden. Ihre Haut ist extrem dünn und schimmert durchsichtig. Die Babys können ihre Körpertemperatur nicht selbst regulieren. Der Darm kann Nährstoffe noch nicht ausreichend verwerten. Die Atmung funktioniert noch nicht. Da das Gehirn noch nicht ausgereift ist, können jederzeit Gefäße reißen und Hirnblutungen auftreten.
1 | 2023 Esslinger Gesundheitsmagazin 21 „Die Kinder sind eigentlich noch nicht bereit, auf der Welt zu sein“, so Oberärztin Britta Brenner. Sie leitet am Klinikum Esslingen die Neonatologie, eine Intensivstation speziell für extrem früh oder krank geborene Kinder. Damit die kleinsten Patientinnen und Patienten sich außerhalb des Mutterleibes sicher entwickeln können, ist die Station mit modernster Medizintechnik ausgestattet: Von Inkubatoren und speziellen Beatmungsgeräten bis hin zu diagnostischen Apparaten wie Röntgen, Sonographie oder Echokardiographie. „Als Perinatalzentrum Level 1 bieten wir am Klinikum Esslingen die höchste Versorgungsstufe“, so Brenner. „Unser Team ist hochspezialisiert und multiprofessionell aufgestellt: Fachärztinnen und Ärzte für Neu- und Frühgeborenenmedizin, pädiatrische Intensivpflegekräfte und Expertinnen und Experten aus der Kinderradiologie, Physiotherapie oder Logopädie. Zudem gibt es hier eine Kinderchirurgie. Neugeborene mit komplexen Fehlbildungen können bei Bedarf direkt bei uns im Haus operiert werden und müssen nicht in eine andere Klinik verlegt werden.“ Rund 450 bis 500 früh und krank geborene Kinder werden jedes Jahr auf der Neonatologie versorgt – darunter auch extrem früh geborene Kinder wie Nika. Nach ihrer Geburt liegt Nika im Inkubator, wird beatmet und über eine Magensonde ernährt. Für die Eltern beginnt eine sorgenvolle Zeit. „Ich erinnere mich, dass ich an einem der ersten Tage im Parkhaus des Klinikums stand und überlegte: Löse ich ein Tagesparkticket? Oder gleich ein Monatsticket? In meinem Kopf überschlugen sich die Fragen: Schafft unsere Tochter das? Wie lange bleiben wir hier? Was kommt noch alles auf uns zu?“ so Aleksandar Djordjevic. „Ziemlich früh stellte sich bei mir aber das Gefühl ein: Klar, schaffen wir das. Da war ein Vertrauen in das Team der Neonatologie, in die Situation. Vor meinem inneren Auge konnte ich uns mit Nika schon zuhause sehen.“ Mut machen „Leider gehen nicht alle Geschichten gut aus, auch wenn alle Beteiligten ihr Möglichstes tun“, sagt Britta Brenner. Sie und ihr Team wollen den Eltern Mut machen, aber nichts beschönigen. „Wie ein Frühgeborenes sich entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab und es können jederzeit Veränderungen eintreten. Wir vermitteln den Eltern: Der Weg wird mal bergauf und mal bergab gehen. Wichtig ist, dass die Kurve insgesamt stetig aufwärts geht.“ Bei Nika geht sie aufwärts: Nach einem Monat atmet das Kind selbstständig. Sie erreicht die Ein-Kilo-Marke. Sie erreicht die Zwei-Kilo-Marke. Insgesamt dreieinhalb Monate verbringt Nika im Klinikum Esslingen. Ihre Eltern sind täglich bei ihr. „Es gab keine Besuchszeiten. Wir konnten zu jeder Tages- und Nachtzeit bei Nika sein.“ „Man muss Vätern und Müttern von Frühgeborenen Zeit geben, in ihre Elternrolle hineinzuwachsen“, weiß Britta Brenner. Deswegen bietet das Klinikum Esslingen „RoomingIn“ an: Es gibt Zimmer, in denen Mutter und Kind gemeinsam liegen können. „Eltern sind bei uns keine Besucher, sie sind Teil des Teams“, so Brenner. Selbst in den Corona-Jahren konnten Eltern immer zu zweit zu ihren Babys. „Durch die vielen Testungen hatten wir nie einen Corona-Fall.“ Familienzentralisierte Pflege Brenner weiß auch: „Anfangs steht bei den Eltern oft erst einmal Überforderung. Bei uns gibt es Psychologen und Seelsorger, an die sie sich wenden können. Gleichzeitig nehmen wir Ängste, indem wir die Eltern anleiten und sehr früh in die Versorgung ihrer Kinder mit einbinden. Die Eltern sollen zu Fachleuten für ihr Kind werden. Das gibt Selbstvertrauen.“ Das findet auch Aleksandar Djordjevic: „Für uns war es sehr wichtig, dass wir nicht nur Zuschauer waren, sondern etwas tun konnten. Das nahm einem das Gefühl der Machtlosigkeit.“ „Unsere familienzentralisierte Pflege nutzt nicht nur den Eltern, sondern auch den Kindern“, betont Britta Brenner. „Studien zeigen: Die Stimme, der Geruch, der Körperkontakt – all das fördert die Entwicklung des Kindes. Aus diesem Wissen heraus setzen wir auch seit langem schon auf die sogenannte Känguru-Pflege: Sobald die frühgeborenen Kinder stabil sind, können sie über Stunden auf der Brust ihrer Mutter oder ihres Vaters liegen.“ Muttermilchernährung wird gefördert Die Bindung, die beim „Kangorooing“ entsteht, wirke sich bei der Mutter auch positiv auf die Milchbildung aus: „Die Ernährung mit Muttermilch hat viele positive Effekte, vor allem stärkt sie das Immunsystem. Um das Stillen zu fördern, stehen den Müttern bei uns zertifizierte Stillberaterinnen und speziell ausgebildete Pflegekräfte zur Seite. Sind die Kinder zu schwach, um die Brust zu nehmen, können die Mütter Milch abpumpen und auf der Station in einem speziellen Kühlschrank lagern.“ Für Mütter, die nicht stillen können, hat das Team der Neonatologie seit neuestem ein besonderes Angebot: „Dank einer Kooperation mit einer Frauenmilchbank haben die Kinder Zugang zu Spendermilch.“ Auch Nikas Mutter konnte ihr Kind mit Muttermilch ernähren. „Erfolge wie diese haben wir gemeinsam mit dem Stationsteam gefeiert. Die Pflegekräfte haben Fotos von Nikas erstem Bad gemacht. Als Nika ein Kilo auf die Waage brachte, wurden wir mit einem Luftballon begrüßt. Als es dann Zeit war, nach Hause zu gehen, haben sich alle riesig gefreut. Aber wir haben beim Abschied auch ein paar Tränen verdrückt. Wenn man so eine lange Zeit miteinander verbringt, wächst man eng zusammen.“ Britta Brenner >>> „ Als Perinatalzentrum Level 1 bieten wir am Klinikum Esslingen die höchste Versorgungsstufe.”
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