Ausgabe 1 >2024

ESSLINGER GESUNDHEITSMAGAZIN 1 > 2024 Klinikum Esslingen in Kooperation mit der Kreisärzteschaft Esslingen Vereint gegen Lungenkrebs: Thoraxzentrum Südwest Stark Gerettet Spezialisierte Schlaganfallbehandlung Genehmigt Mammutprojekt Klinik-Neubau Geschafft Mein Leben nach Darmkrebs-Operation

04 Meldungen 11 ES-Kids Lachen als Medizin 12 Gebärmutterhalskrebs Neu zertifiziertes Dysplasiezentrum 15 Vor allem Frauen 35+ Facharzt-Interview: Krebsfrüherkennung 22 Masterplan Bau Das neue Klinikum entsteht 23 Für junge Leser Kind, bist Du groß geworden! 24 Mein Leben nach Darmkrebs-Operation Schockdiagnose und rettende OP 27 Vorsorge kann Leben retten Arztinterview 28 Anlaufstelle für Gewaltopfer Traumaambulanz in der Klinik für Psychosomatische Medizin 30 Saubere Leistung Reinigungskräfte im Einsatz 32 Notfall Schlaganfall Schnelle Hilfe auf der Stroke Unit 35 Die heilende Kraft des Singens Therapeutische Gesangsgruppen 36 Pflegeausbildung Neue Impulse in der Schule für Pflegeberufe 38 Wenn der Hacker in den OP-Saal will Expertenteam IT im Einsatz 40 Elektronische Patientenakte: einfach schneller Arzt-Interview 41 Förderverein Herzklopfen 41 Impressum 42 Klare Position Städtische Pflegeheime zum Thema „Selbstbestimmtes Sterben“ 46 Schweißnasse Hände Botox gegen Schwitzen 48 Förderverein proklinikum 49 Veranstaltungen 50 Adressen Selbsthilfegruppen, Ambulante Dienste und mehr 24 32 42 Inhalt 16 Vorhofflimmer-Zentrum: Vorreiter in der Region 20 Das Fundament der Zukunft: Grünes Licht für den Neubau 06 Lungenkrebs im Fokus: Thoraxzentrum Südwest www.gesundheitsmagazin-esslingen.de

1 | 2024 Esslinger Gesundheitsmagazin 3 Vorwort Die Digitalisierung und der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen ermöglichen uns zahlreiche Fortschritte in der Verbesserung der Behandlung, Vorsorge, und Diagnosestellung unserer Patientinnen und Patienten. Die Anwendung von Algorithmen im Gesundheitswesen schafft uns beeindruckende Möglichkeiten. Der Vorteil besteht darin, dass Algorithmen schneller und bei bestimmten Abläufen zuverlässiger arbeiten als der Mensch. Diagnosen können damit in der Zukunft präziser gestellt werden. Patientinnen und Patienten erhalten somit eine individuelle, optimierte Therapie. Mit personalisierten Präventionsmaßnahmen soll bereits die Entstehung der Krankheiten, soweit möglich, verhindert werden. Die Versorgungsqualität der Patientinnen und Patienten soll durch digitale Assistenten verbessert werden. Es gibt jedoch auch eine Menge kritischer Aspekte, die wir berücksichtigen müssen. Digitale Medizin generiert eine riesige Menge an hochsensiblen Daten. Wir schaffen gläserne Patientinnen und Patienten. Der Schutz dieser individuell persönlichen Gesundheitsdaten steht an oberster Stelle. Dritte dürfen nicht in die Lage versetzt werden, sensible Patientendaten aus digitalen Patientenakten auszuwerten und für ihre Zwecke zu missbrauchen. Die Sicherheit von Gesundheitsdaten muss gesichert sein. Insbesondere Big-Data-Anwendungen und künstliche Intelligenz ermöglichen digitale Innovationen, für ihren Erfolg ist die Akzeptanz der Menschen zwingende Voraussetzung. Mit der Einführung der e-Rezepte, der digitalen Gesundheitsakte und der Übermittlung von digitalen Arztbriefen können wir schneller miteinander kommunizieren. Davon profitieren wir alle. Zusätzlich können wir mit der papierlosen Kommunikation einen kleinen Beitrag für die Umwelt leisten. Machen wir uns auf den Weg. Es wird höchste Zeit. Die Zukunft hat schon begonnen. Ihr Dr. Marc Alexander Meinikheim Die regionale Vernetzung im beruflichen sowie im privaten Umfeld ist wichtig für eine vielfältige und lebendige Gemeinschaft. Sie ermöglicht den Austausch von Ideen, Ressourcen und Erfahrungen zwischen verschiedenen Akteuren und fördert soziale Zusammengehörigkeit und Solidarität. Lokale Initiativen werden gestärkt, wirtschaftliche Entwicklungspotenziale erschlossen und kulturelle Vielfalt gefördert. Insgesamt schafft regionale Vernetzung eine Grundlage für ein lebendiges und nachhaltiges Gemeinwesen. Auch im Gesundheitssektor wird es immer wichtiger, Versorgungsnetzwerke zu schaffen. Die Alb Fils Kliniken, die medius Kliniken und das Klinikum Esslingen haben daher ihre Kompetenzen gebündelt: Sie arbeiten bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Lungen-Erkrankungen im Thoraxzentrum Südwest landkreisübergreifend zusammen. Mit der Gründung dieses Netzwerks schaffen sie tragfähige Zukunftsstrukturen in der Patientenversorgung für unsere Region und setzen auf Kooperation statt auf Wettbewerb. Doppelstrukturen werden vermieden, der Spezialisierungsgrad erhöht sich und die Versorgungsqualität steigt. Lesen Sie in unserem Schwerpunkt, wie Betroffene davon profitieren. Neue Maßstäbe setzt auch das „Vorhofflimmer-Zentrum“ des Klinikum Esslingen. Als erstes seiner Art in der Region Stuttgart bietet es Herzerkrankten eine neue, hoch effektive und schonende Methode: die „Pulsed Field Ablation (PFA)“. Erfahren Sie außerdem von den Expertinnen und Experten des frisch zertifizierten Dysplasiezentrums, wie eine Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs schützt und warum diese auch für Jungen empfohlen wird. Im Artikel der städtischen Pflegeheime geht es in dieser Ausgabe um den sensiblen Umgang mit dem Wunsch nach assistiertem Suizid. Das Team der Traumaambulanz gewährt Einblicke in ihre nunmehr 10-jährige Arbeit als Anlaufstelle für Gewaltopfer und eine Musiktherapeutin verrät, wie heilsam singen sein kann. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre! Ihr Matthias Klopfer Stark vernetzt! Matthias Klopfer, Oberbürgermeister der Stadt Esslingen a. N. Die Zukunft hat begonnen Dr. Marc Alexander Meinikheim, Vorstand der Kreisärzteschaft Esslingen

4 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2024 Meldungen Kick-Off-Veranstaltung Delirmanagement Sechs neue Betten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Haben Sie Fragen und Anregungen rund um das Esslinger Gesundheitsmagazin? Kontaktieren Sie uns: dialog@klinikum-esslingen.de Ihre Gesundheitsthemen sind gefragt! Ganz neu am Klinikum Esslingen ist unsere Bildungsakademie. Sie wurde gegründet, um die Mitarbeitenden in vielfältigen Themen und Lebenslagen zu unterstützen, ihre Potenziale zu fördern und ihnen das Bestmögliche an Bildung zu bieten. Unser Ziel ist es, alles was mit Fort- und Weiterbildungen zu tun hat in Zukunft noch besser miteinander zu vernetzen und an die Bedürfnisse der Teilnehmenden anzupassen. Diese profitieren künftig von kurzen Informationsveranstaltungen, eintägigen Fortbildungen und mehrjährigen Aus- und Weiterbildungen. Wir lassen persönliche Ziele zu gemeinsamen Zielen werden! Das neue Jahresprogramm ist da: Die Bildungsakademie Am 7. Februar 2024 fand im Klinikum Esslingen die Kick-Off-Veranstaltung für ein standardisiertes Delirmanagement statt. Ein Delir ist ein Zustand akuter Verwirrtheit. Es kann vorübergehend bei Patientinnen und Patienten in Kliniken auftreten, zum Beispiel nach Infektionen, Operationen, als Medikamentennebenwirkung oder durch einen Substanzmittelentzug, wie Alkohol oder Schlafmittel. Dabei sind Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit und Orientierung gestört. Nach den Grußworten von Geschäftsführer Matthias Ziegler und dem Ärztlichen Direktor PD Dr. Dr. Koch, hielt Prof. Dr. Eschweiler, ärztlicher Leiter des geriatrischen Zentrums des Universitätsklinikums Tübingen, einen Impulsvortrag zu „Prävention, Diagnostik und Management des Delirs im Krankenhaus“. Das strukturierte Delirmanagement soll künftig Mitarbeitende, Patientinnen, Patienten und Angehörige entlasten. Am 17. November 2023 wurde die neue und damit 4. Station in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, die JES 3, eröffnet. Ein großer Schritt nach vorne – angesichts der bundesweiten Wartezeiten von bis zu acht Monaten auf einen Therapieplatz und Engpässen in der stationären Behandlung. Auf dieser Station können nun sechs weitere Patientinnen und Patienten im Alter von 12 bis 18 Jahren von einem multiprofessionellen Team aus Pflege, Pädagogik, Medizin und Psychologie behandelt werden. Die Klinik bietet eine breite Diagnostik sowie Einzel-, Gruppen-, Kreativ- und Bewegungstherapien und erlebnispädagogische Aktionen an. Die Familien werden durch regelmäßige Eltern- und Familiengespräche und bei Bedarf durch Eltern-Kind-Hospitationen in die Behandlung mit einbezogen.

1 | 2024 Esslinger Gesundheitsmagazin 5 Meldungen Der Baby-Notarztwagen des Landkreises Esslingen, der über Spenden finanziert wurde, verzeichnete nach rund einem Jahr seinen 77. lebensrettenden Einsatz. Das High-Tech-Fahrzeug garantiert bereits auf der Fahrt beste medizinische Versorgung von Neu- und Frühgeborenen sowie schonende Verlegungen. Es gleicht einer mobilen Intensivstation für die Kleinsten. Baby-Notarztwagen seit einem Jahr im Einsatz Cancer Center Esslingen beim 36. Deutschen Krebskongress Beim 36. Deutschen Krebskongress (DKK) vom 21. bis 24. Februar 2024 in Berlin, war auch das Klinikum Esslingen mit dem Cancer Center Esslingen (CCE) am größten onkologischen Fachkongress mit über 12.000 Teilnehmenden aus Ärzteschaft, Pflege und Forschung beteiligt. Der DKK findet alle 2 Jahre statt. Beate Haensel, Koordinatorin des Cancer Center Esslingen und der Brückenpflege STELLA Care, präsentierte ein wissenschaftliches Poster für das CCE, bei dem es um die Vorteile eines Onkologischen Care-Teams auf Lebensqualität, Autonomie und Therapietreue von Krebskranken in allen Phasen der Erkrankung geht. Das Ergebnis spricht für sich: Die Patientinnen und Patienten fühlten sich im Verlauf der Erkrankung deutlich weniger überfordert und sicherer – insbesondere durch die 24-stündige Erreichbarkeit.

6 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2024 Die Lunge Im neuen Thoraxzentrum Südwest arbeiten das Klinikum Esslingen, die Alb Fils Kliniken, die medius Kliniken und die RKH Kliniken Ludwigsburg eng zusammen. Eine gute Nachricht, insbesondere für Lungenkrebs-Patientinnen und -Patienten. Auch neue Therapieformen machen Mut.

1 | 2024 Esslinger Gesundheitsmagazin 7 Wissen, Erfahrung und Ressourcen bündeln zugunsten von Patientinnen und Patienten, das sieht auch die Bundesregierung mit ihrer Krankenhausreform vor: um eine hohe Versorgungsqualität zu erreichen, sollen Kliniken sich zukünftig stärker spezialisieren. Die Behandlung komplexer Krankheitsbilder wie Lungenkrebs soll nur noch in Häusern mit besonderer Expertise erfolgen. Krankenhäuser müssen daher künftig bestimmte Mindestfallzahlen erfüllen, zum Beispiel 75 Lungenkrebs-Operationen pro Jahr nachweisen. Diese Vorgabe hatte man am Klinikum Esslingen bereits in den letzten Jahren übertroffen: Jährlich wurden hier um die 130 Patientinnen und Patienten mit einer neuen Lungenkrebsdiagnose behandelt. Im gesamten Thoraxzentrum sind es jetzt mehr als 300. Mehr Fälle, das bedeutet: Mehr Erfahrung und Routine des Behandlungsteams. „Wer an Lungenkrebs erkrankt, ist also gut beraten, wenn er sich in einem großen Zentrum behandeln lässt“, so Dr. Kyriss. Wohnortnahe Versorgung „Gerade für ältere Betroffene ist wichtig: Die Behandlungsplanung im Zentrum erfolgt zwar gemeinsam, aber die Versorgung findet zu einem großen Teil wohnortnah statt.“ Für die Diagnostik, Strahlentherapie, Chemotherapie und Immuntherapie können Betroffene sich an das nächstgelegene Partner-Krankenhaus wenden. Auch die Nachsorge findet dort statt. PD Dr. Martin Faehling >>> im Fokus Dienstag, 16 Uhr. Tumorkonferenz des Thoraxzentrum Südwest. Esslingen wählt sich in die Videokonferenz ein. Göppingen und Ruit wählen sich ein. Und - ganz neu, seit Anfang Februar - schaltet sich auch Ludwigsburg dazu. Am virtuellen Besprechungstisch sitzen nun circa 15 bis 20 Lungenkrebs-Spezialistinnen und Spezialisten. Expertinnen und Experten aus der Onkologie, Pneumologie, Chirurgie, Strahlentherapie und Pathologie sind vertreten. Dr. Thomas Kyriss, Sprecher des ThoraxZentrums Südwest, stellt den ersten Patienten vor: Ein 64-Jähriger mit Lungenkrebs. Das Team studiert CT-Bilder, Laborberichte, die Ergebnisse des Lungenfunktionstests und weitere Befunde. Dann wird sorgfältig abgewogen: Welche Therapie ist für diesen Patienten am besten? Ist die Lungenfunktion ausreichend für eine Operation? Muss eine Vorbehandlung mit Medikamenten oder Bestrahlung erfolgen? „Lungenkrebs ist eine komplexe Erkrankung, die viele Formen annehmen kann. Deswegen planen wir die Behandlung für jede Patientin und jeden Patienten individuell: Operation, Bestrahlung, Immun- oder Chemotherapie werden optimal kombiniert“, erklärt Dr. Kyriss. In der Tumorkonferenz stellen Expertinnen und Experten aus den verschiedenen Disziplinen gemeinsam Therapiepläne auf. Bei der Wahl der Therapie richtet sich das Gremium stets nach aktuellen medizinischen Leitlinien. „Das Besondere am Thoraxzentrum-Südwest: In unserer Tumorkonferenz sitzen nicht nur erfahrene Spezialistinnen und Spezialisten aus einem, sondern gleich aus vier Krankenhäusern. In jedem Behandlungsplan steckt also viel Expertise.“ Kooperation statt Wettbewerb Im Thoraxzentrum Südwest arbeiten seit Herbst 2023 das Klinikum Esslingen, die Alb Fils Kliniken und die medius Kliniken eng zusammen. Seit Frühjahr 2024 sind auch die RKH Kliniken Ludwigsburg mit an Bord. Das Thoraxzentrum Südwest deckt das gesamte Spektrum von Erkrankungen der Lunge und des Brustkorbs ab. Ein Schwerpunkt liegt auf der standortübergreifenden Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Lungenkrebs. „Bereits vor der Gründung des Zentrums kannten wir uns untereinander gut, wir arbeiten seit Langem vertrauensvoll zusammen. Als wir unseren Geschäftsführungen eine offizielle Kooperation vorschlugen, sind wir auf offene Türen gestoßen“, berichtet Dr. Kyriss. „Jeder Partner bringt seine Kenntnisse und Erfahrungen ein. So können wir ein umfassendes, qualitativ hochwertiges und zukunftssicheres Versorgungspaket für eine Region mit 800.000 Einwohnern schnüren“, freute sich beispielsweise Matthias Ziegler, Geschäftsführer des Klinikum Esslingen, bei der Gründung des Verbunds. Dr. Thomas Kyriss Dachorganisation: Cancer Center Esslingen Bereits 2019 wurde am Klinikum Esslingen das Cancer Center Esslingen gegründet. Neben dem zertifizierten Lungenkrebszentrum gehören sechs weitere Organzentren zum CCE. Zusätzlich zählen zum Netzwerk rund 40 externe Partner. Patientinnen und Patienten finden am CCE über die medizinische Behandlung hinaus vielfältige Angebote, die ihnen helfen, die körperlichen, psychischen und sozialen Herausforderungen ihrer Erkrankung zu bewältigen.

8 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2024 >>> „Eine Lungenkrebs-Vorsorgeuntersuchung wäre sinnvoll, insbesondere für die Hauptrisikogruppe, die Raucher.“ Wer an Lungenkrebs erkrankt und einen chirurgischen Eingriff benötigt, wird am Klinikum Esslingen operiert. Hier gibt es seit 13 Jahren ein von der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) zertifiziertes Lungenkrebszentrum. Das DKG-Zertifikat gilt als eine Art TÜV-Siegel der Medizin. Zertifizierte Zentren müssen sich an strenge Qualitätsvorgaben halten und werden jährlich überprüft. „Wir sind personell, technisch und strukturell optimal aufgestellt und bieten hochmoderne Operationsverfahren an“, so Dr. Kyriss. Der erfahrene Chefarzt führt selbst seit über 30 Jahren Lungenoperationen durch. Zeitgleich mit der Gründung des Thoraxzentrums wechselte er von den Alb-Fils-Kliniken Göppingen an das Klinikum Esslingen, um die Leitung der Thoraxchirurgie zu übernehmen. Schonende, minimalinvasive OP-Verfahren „Die operative Entfernung eines Lungentumors ist die Therapie, die am meisten Erfolg auf Heilung verspricht“, so Dr. Kyriss. Das OP-Team setzt meist auf die sogenannte „Schlüssellochchirurgie“: Über nur wenige Zentimeter große Schnitte führen die Chirurginnen und Chirurgen Instrumente und eine HightechKamera in den Brustkorb ein. Diese überträgt hochaufgelöste Bilder der Lunge auf einen Monitor, so dass unter Sicht operiert werden kann. Video-assistierte thorakoskopische Chirurgie nennt sich dieses Verfahren. „Im Vergleich zu einer OP am offenen Brustkorb haben unsere Patientinnen und Patienten dadurch weniger Schmerzen und der Heilungsprozess verläuft deutlich schneller.“ Je früher ein Lungentumor entdeckt wird, desto größer die Chance, dass man das krankhafte Gewebe chirurgisch komplett entfernen kann. „Eine Lungenkrebs-Vorsorgeuntersuchung wäre daher sinnvoll, insbesondere für die Hauptrisikogruppe, die RauWas tut gut, was schadet? Verhaltenstipps für Lungenkrebs-Patientinnen und Patienten: › Rauchstopp: Neun von zehn Lungenkrebserkrankungen sind auf das Rauchen zurückzuführen. Spätestens mit der Diagnose sollten Zigaretten absolut tabu sein. Wer während der Behandlung weiter raucht, muss mit höheren Nebenwirkungen von Chemo- und Immuntherapien rechnen. Auch das Risiko eines chirurgischen Eingriffs ist für Raucher deutlich höher. › Ernährung: Möglichst kein Gewicht / keine Muskelmasse abbauen, auf eine ausgewogene, gute Ernährung achten. › Bewegung verbessert das Wohlbefinden und erhöht die Belastbarkeit. › Das Atemtraining startet meist bereits im Krankenhaus. In einer Lungensportgruppe kann man das Training auch nach dem stationären Aufenthalt weiterführen. › Psyche: Fressen Sie Sorgen nicht in sich hinein, sondern suchen Sie sich Mitstreiter in der Familie / im Freundeskreis. Auf Wunsch bietet das Klinikum Esslingen psychoonkologische Beratungsgespräche.

1 | 2024 Esslinger Gesundheitsmagazin 9 cher. Die Einführung ist in Planung, es wird aber noch dauern, bis es in Deutschland so weit ist“, bedauert Dr. Kyriss, denn: Lungenkrebs macht sich erst im fortgeschrittenen Stadium mit Symptomen bemerkbar. Daher wird die Erkrankung häufig spät entdeckt. Ein chirurgischer Eingriff alleine reicht dann nicht mehr aus, um den Krebs zu besiegen. „Bei etwas größeren Tumoren können wir vor der OP eine Bestrahlung oder Chemotherapie ansetzen. Ziel ist es dabei, den Tumor soweit zu schrumpfen, dass wir ihn im Anschluss komplett operativ entfernen können.“ Sitzt der Tumor ungünstig, ist er zu groß oder hat er schon in andere Organe gestreut, sei eine Operation dagegen nicht sinnvoll. Auch andere Faktoren könnten gegen eine Operation sprechen. „Wir versuchen, so viel gesundes Gewebe wie möglich zu erhalten, wir müssen aber immer einen Teil der Lunge entfernen. Wir prüfen daher zuvor genau, ob die Lungenfunktion der Patientinnen und Patienten ausreicht, um das zu kompensieren. Und natürlich gilt es auch, den allgemeinen Gesundheitszustand zu bewerten: Ist der Betroffene fit genug, um die OP zu verkraften?“ Enorme Fortschritte bei Bestrahlung und Chemotherapie Auch wenn eine OP nicht infrage kommt, haben die Expertinnen und Experten am Thoraxzentrum Südwest dem Krebs wirksame Instrumente entgegenzusetzen. „Chemotherapie, Bestrahlung und Immuntherapie gehören da zu den wichtigsten. Sie kommen einzeln oder in Kombination zum Einsatz“, berichtet Lungenfacharzt PD Dr. Martin Faehling, Leiter der Pneumologie am Klinikum Esslingen. „Die Behandlungsmöglichkeiten haben sich massiv verbessert.“ So könne man Tumore heute zum Beispiel extrem präzise und effizient bestrahlen. Und auch bei den Chemotherapien habe sich viel getan: „Die Wirkstoffe sind effektiver und besser verträglich. Durch eine gute Begleitmedikation bekommen wir Nebenwirkungen noch besser in den Griff.“ Hoffnung bringen auch neue Verfahren, zum Beispiel die innovativen Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADC). Das TherapiePrinzip: Ein Chemotherapie-Medikament wird an einen Antikörper angedockt. Dieser Antikörper funktioniert wie ein Taxi. Er transportiert den Wirkstoff direkt in die Tumorzelle. Die Chemotherapie greift also gezielt dort an, wo sie wirken soll. Das erhöht den Erfolg und reduziert Nebenwirkungen. ADCs werden bei einigen Tumorarten, wie Brustkrebs, heute schon standardmäßig eingesetzt. Im Bereich Lungenkrebs wird die Methode derzeit intensiv erforscht. „Auch wir beteiligen uns hierzu an Studien“, so Dr. Faehling. >>> Detaillierte Diagnostik Lungenkrebstherapien werden genau auf die Patientin oder den Patienten zugeschnitten. Grundlage dafür ist eine detaillierte Diagnostik: › Steckt hinter Symptomen wie anhaltendem / blutigem Husten, Luftnot, Brustschmerzen und Gewichtsverlust Lungenkrebs? Das lässt sich am besten mit einer Computertomographie abklären. Da Lungenkrebs oft und früh mit Metastasen im Gehirn einhergeht, wird auch ein CT des Kopfes angefertigt. › Die Positronen-Emissions-Tomografie (PET-CT) eignet sich zur genauen Beurteilung der Ausdehnung von Lungentumoren und Planung der Behandlung. › Erhärtet sich der Krebsverdacht, werden bei einer Lungenspiegelung Gewebeproben entnommen. Eine Pathologin oder ein Pathologe untersucht das Gewebe, bestimmt den Tumortyp (kleinzelliger oder nicht-kleinzelliger Lungentumor) und genetische Eigenschaften des Tumors, die Einfluss auf die Wahl der Therapie haben. › E in Lungenfunktionstest zeigt, ob die Lunge stark genug für einen chirurgischen Eingriff ist. Bei grenzwertiger Lungenfunktion kommt ergänzend eine Sauerstoffaufnahmemessung unter Belastung zum Einsatz. › Ä rztinnen und Ärzte machen sich einen klinischen Gesamteindruck der Person und prüfen, ob / welche Begleiterkrankungen vorliegen.

10 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2024 >>> Kontakt Klinikum Esslingen Thoraxzentrum Südwest Klinik für Thoraxchirurgie Chefarzt Dr. Thomas Kyriss Telefon 0711 3103 2700 k.lutze@klinikum-esslingen.de Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie PD Dr. Martin Faehling Leitender Arzt Pneumologie Telefon 0711 3103-2402 m.faehling@klinikum-esslingen.de Pneumologie@klinikum-esslingen.de lungenkrebszentrum@klinikum-esslingen.de Nicht nur Studien zu Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten laufen in Esslingen. Im Jahr 2022 beteiligte das Klinikum Esslingen sich an insgesamt 13 klinischen Lungenkrebs-Studien. Das bringt direkte Vorteile für die Patientinnen und Patienten des Thoraxzentrum Südwest: Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer erhalten Zugang zu neuen, innovativen Medikamenten, noch bevor diese allgemein verfügbar sind. Für die Durchführung gelten strengste Sicherheitsregeln, die Teilnahme an einer Studie ist freiwillig. Immuntherapie: Revolutionär neuer Ansatz Auch zur noch jungen Immuntherapie wird in Esslingen geforscht. Dr. Faehling erklärt das neuartige Therapie-Prinzip: „Krebszellen können sich unsichtbar für das Immunsystem machen. Der Krebsforschung ist es gelungen, Antikörper zu entwickeln, die den „ Der Krebsforschung ist es gelungen, Antikörper zu entwickeln, die den Tumorzellen ihre ‚Tarnkappe‘ herunterziehen. Die körpereigene Abwehr wird angeschaltet und greift den Krebs an.“ Lungenkrebssprechstunde Jeden Werktag um 9 Uhr findet am Klinikum Esslingen eine offene Lungenkrebssprechstunde statt. Hier kann ein Verdacht auf Lungenkrebs abgeklärt werden. Eine Überweisung durch den Hausarzt oder einen Lungenfacharzt wird benötigt. Um Anmeldung wird gebeten. Kontakt: Telefon 0711 3103-2402 Pneumologie@klinikum-esslingen.de Tumorzellen ihre ‚Tarnkappe‘ herunterziehen. Die körpereigene Abwehr wird angeschaltet und greift den Krebs an.“ Die Therapie sei gut verträglich und könne über lange Zeit verabreicht werden. Für Patientinnen und Patienten mit nicht-operablen Lungentumoren bedeute dies eine höhere Lebenserwartung bei guter Lebensqualität. „In Esslingen haben wir die Immuntherapie schon sehr früh im Rahmen von Studien eingesetzt. Seit 2015 ist das Verfahren bei uns standardmäßig im Repertoire. Wir erzielen hervorragende Ergebnisse – und wir forschen daran, die Therapie weiter zu verbessern.“ Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen hat PD Dr. Faehling 2021 eine wegweisende Forschungsarbeit zu Immunchemotherapien bei lokal fortgeschrittenem, nicht-kleinzelligem Lungenkrebs veröffentlicht. Für die Arbeit wurde er von der Deutschen Krebsgesellschaft mit dem renommierten AIO-Wissenschaftspreis ausgezeichnet. „Wir haben die Therapie im Rahmen der Studie neoadjuvant, also im Vorfeld einer Tumor-Operation, eingesetzt. Die Ergebnisse waren sehr gut. Neun von zehn Erkrankten konnten mit Heilungsaussicht behandelt werden. Insbesondere konnten dank der Vorbehandlung mit der Immuntherapie viele Patientinnen und Patienten operiert werden, die sonst nicht für eine OP in Frage gekommen wären. Das sind sehr gute Nachrichten.“ lj

1 | 2024 Esslinger Gesundheitsmagazin 11 Wusstest du, … … dass manche Erwachsene LachyogaKurse besuchen? Da tun sie so, als würden sie lachen, bis sich alle anstecken. Das könnten sie sich im Alltag auch einfach von euch Kindern abgucken: Ihr lacht nämlich jeden Tag im Schnitt bis zu 400 Mal, Erwachsene nur 15 Mal. Lachen als Medizin ES Kids Laune-Zauberstoffe“ können sogar Schmerzen lindern. Lachen hilft dir auch, Ängste und Stress loszuwerden und es stärkt dein Immunsystem. Das bedeutet, dass du weniger oft krank wirst. Lachen ist also wie ein Superheld, der dir hilft, gesund zu bleiben. Was passiert im Körper, wenn wir lachen? Wenn du herzhaft lachst, arbeitet dein Körper auf Hochtouren. Fast 300 verschiedene Muskeln im Gesicht, am Zwerchfell und am Bauch bewegen sich bei einem Lachanfall. Beim Lachen atmest du intensiver. Deine Lunge nimmt rund drei- bis viermal so viel Sauerstoff auf wie im „Normalzustand“. Dein Herz schlägt schneller und pumpt das sauerstoffreiche Blut durch dein Gehirn und deinen Körper. Das bringt den Stoffwechsel in Schwung und ist ein tolles Training für ein starkes Herz! ast Was ist hoch ansteckend und gleichzeitig gut für die Gesundheit? Lachen! Hattest du schon mal so eine richtige Lachattacke mit deinen Freunden? Sobald die einen aufhören, prusten die nächsten los. Und irgendwann weiß keiner mehr, weshalb. Lachen ist zwar hoch ansteckend, aber zum Glück komplett ungefährlich. Die einzigen Nebenwirkungen: Lachtränen, Bauchmuskelkater und gute Laune. Lachen stärkt die Lebenslust und verbindet. Wollen wir Menschen aufheitern, wenn es mal nicht so gut läuft, versuchen wir, sie zum Lachen zu bringen: Wir machen Witze, kitzeln sie oder lächeln sie an. Dann wird ihnen leichter ums Herz. Lachen tröstet auch, wenn man mal krank ist. In der Esslinger Klinik für Kinder und Jugendliche schauen einmal die Woche „Dr. Quatsch“ und „Dr. Pumuckl“ vorbei. Die beiden Klinikclowns verteilen Luftballons, singen oder führen Zaubertricks vor. Mit ihrer roten Clownsnase haben sie schon vielen kleinen Patientinnen und Patienten am Klinikum Esslingen ein Lächeln auf die Lippen gezaubert! Lachen ist gesund Lachen kann sogar wie Medizin wirken. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Wenn du lachst, schickt dein Gehirn Glückshormone, wie zum Beispiel Endorphine, durch deinen Körper. Diese „GuteRätsel: Was ist richtig? 1) L achen ist … … ansteckend (HA) … gefährlich (QU) 2) Z u den Glückshormonen zählen … … Delfine (AT) … Endorphine (H) 3) Wenn du lachst, trainierst du dein Herz Stimmt (A) Stimmt nicht (SCH) Die Buchstaben hinter den richtigen Antworten ergeben das Lösungswort. 1. 2. 3. Lösung: HAHA Hilfe!!! Gleich werden wir angesteckt! Ha, ha, hi, hi!

12 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2024 Leitende Oberärztin Dr. Cornelia Kurz und Oberärztin Gundega Galindoma nehmen bei einer Kolposkopie den Gebärmutterhals genauer unter die Lupe Früh erkannt – schnell gebannt Gebärmutterhalskrebs gehört zu den Krebsarten, die verhindert werden können – sofern Vorstufen rechtzeitig erkannt und therapiert werden. Das Früherkennungsprogramm wird von vielen Frauen in Anspruch genommen. Patientinnen mit auffälligen Befunden erhalten im zertifizierten Dysplasiezentrum an der Frauenklinik des Klinikum Esslingen eine qualifizierte Betreuung. Das Zentrum wurde kürzlich von der Deutschen Krebsgesellschaft ausgezeichnet.

1 | 2024 Esslinger Gesundheitsmagazin 13 „ Dass ein Virus Krebs auslösen kann, war eine sensationelle Entdeckung, die erst vor ein paar Jahrzehnten gemacht wurde.“ Stempel für die Qualität Stolz sind Prof. Hein und sein Team auf das soeben erteilte Zertifikat der Deutschen Krebsgesellschaft. Es weist ihr Zentrum als „Zertifizierte Gynäkologische Dysplasie-Einheit“ aus. Dafür wurde das Team und dessen Arbeit ein Jahr lang beobachtet. Eine bestimmte Zahl an Patientinnen und Behandlungen, die fachliche Expertise des ärztlichen und pflegerischen Personals sowie vorgeschriebene Fort- und Weiterbildungen für Ärztinnen und Ärzte sind dafür notwendig. Selbstverständlich wird auch die Qualität der Arbeit geprüft. Um diese Zertifizierung zu halten, muss das Team weiterhin seine Arbeit und Qualität nachweisen und wird jährlich von Prüfern der Deutschen Krebsgesellschaft überprüft. Die Untersuchung im Dysplasiezentrum ist Teil des Früherkennungsprogramms für Gebärmutterhalskrebs. „Bei den niedergelassenen Frauenärztinnen und -ärzten erfolgt das Screening der Frauen. Wir sind dann für die Abklärung auffälliger Befunde da“, erklärt Dr. Cornelia Kurz, Leitende Oberärztin an der Frauenklinik und Leiterin der Dysplasieeinheit in Esslingen. Ein auffälliger Befund ist zum Beispiel, wenn der sogenannte Pap-Abstrich, der bei der regelmäßigen Untersuchung bei den Frauenärzten entnommen wird, bestimmte auffällige Kriterien aufweist. „Wir schauen uns bei einer sogenannten Kolposkopie mit einer Lupe den Gebärmutterhals genau an. So können wir erkennen, ob es auffällige Gewebeveränderungen gibt und ob es notwendig ist, diese zu behandeln“, sagt Dr. Kurz. Bei leichten Veränderungen warten wir erstmal ab und beobachten. „In vielen Fällen bilden sich diese Veränderungen von allein zurück“, sagt Dr. Kurz. Schwangerschaft auch nach OP möglich 500 bis 600 Frauen werden jedes Jahr im Esslinger Dysplasiezentrum untersucht. „Etwas mehr als 100 Frauen müssen wir operativ behandeln“, sagt Professor Dr. Alexander Hein, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Klinikum Esslingen. Oft handelt es sich dabei nur um kleine Eingriffe, wie etwa die Abtragung der auffälligen Befunde. Bei größeren Veränderungen der Schleimhaut muss manchmal auch ein Teil des Gebärmutterhalses entfernt werden. Auch das ist kein großer Eingriff. „Wir nehmen ihn ambulant vor und die Frauen können danach schwanger werden“, betont Prof. Hein. Ein Virus als Verursacher von Krebs Auch Patientinnen, die einen unauffälligen Pap-Abstrich haben, aber bei denen das Humane Papillomavirus (HPV) bei der Untersuchung durch ihre Frauenärztin oder ihren Frauenarzt festgestellt wird, werden an ein Dysplasiezentrum überwiesen. „Dass ein Virus Krebs auslösen kann, war eine sensationelle Entdeckung, die erst vor ein paar Jahrzehnten gemacht wurde“, sagt Professor Hein. Der deutsche Mediziner und Wissenschaftler Prof. Dr. Alexander Hein Dr. Cornelia Kurz Gundega Galindoma Etwa 5.ooo Frauen erkranken jährlich deutschlandweit an Gebärmutterhalskrebs. >>>

14 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2024 Kontakt Klinikum Esslingen Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Prof. Dr. Alexander Hein, Chefarzt Dr. Cornelia Kurz, Ltd. Oberärztin Gundega Galindoma, Oberärztin Telefon 0711 3103-3056 frauenklinik@klinikum-esslingen.de „Gebärmutterhalskrebs ist eine der wenigen Krebsarten, die man durch eine Impfung verhindern kann.“ Harald zur Hausen hatte das in den 1980er Jahren entdeckt und dafür 2008 den Nobelpreis erhalten. Fast jede Frau infiziere sich im Laufe ihres Lebens mindestens einmal mit diesem Virus, von dem es verschiedene Typen gibt und das bei intimem Kontakt übertragen wird. Zumeist verschwindet es von alleine, manchmal aber setzt es sich auch fest und kann so - oft viele Jahre später - Veränderungen im Gewebe auslösen, die dann wiederum Jahre später zu Krebs führen können. Je früher die Veränderungen erkannt werden, desto größer ist die Chance, dass sich erst gar kein Krebs entwickelt. Das Virus kann nicht nur Krebs am Gebärmutterhals, sondern auch an der Scheide, im Anus oder der Mundschleimhaut auslösen. Bei Männern kann es zu Krebs am Penis führen. „Diese Krebsarten sind aber eher selten“, sagt Dr. Kurz. Höchste Ansteckungsrate bei 20- bis 30-Jährigen „In der Lebensphase zwischen 20 und 30 infizieren sich die meisten Frauen. Das Virus verschwindet aber meistens von allein wieder und ist nicht behandlungsbedürftig “, sagt die Oberärztin Gundega Galindoma, die Koordinatorin der Esslinger Dysplasieeinheit. Kritisch werde es erst, wenn sich das Virus sozusagen verfestigt. Dann kann es unter bestimmten Umständen Krebs auslösen. Und das oft Jahre oder Jahrzehnte nach der Ansteckung. Deshalb wurde die Früherkennung bei Frauenärztinnen und -ärzten im Jahr 2020 ausgeweitet. Seither gibt es für Frauen ab 35 Jahren alle drei Jahre einen Test zur Erkennung des HPVVirus. Dadurch werden auch Patentinnen identifiziert, deren Pap-Abstich zwar unauffällig ist, die aber das Virus in sich tragen. Die Zahl der Patientinnen in der Dysplasiesprechstunde am Klinikum Esslingen hat sich daher in den vergangenen Jahren erhöht. Krebs selbst wird bei der Abklärung in der Dysplasieeinheit eher selten entdeckt. Deutschlandweit erkranken pro Jahr etwa 5.000 Frauen an Gebärmutterhalskrebs. Im Vergleich hierzu erkranken circa 50.000 Frauen an Brustkrebs in Deutschland. Ein Termin >>> in der Dysplasiesprechstunde bedeutet nicht automatisch, dass die Frau krank ist. „Dass wir jetzt mehr Frauen zugewiesen bekommen, ist eine Folge der ausgeweiteten Früherkennung. Und die hilft ja gerade, Krebs zu verhindern“, sagt Oberärztin Gundega Galindoma. Impfung im Kindesalter schützt vor Krebs Eng arbeiten die Spezialisten des Klinikums mit den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen zusammen. „Diese überweisen die Patientinnen zu uns bei Auffälligkeiten und wir schicken sie dann nach der Untersuchung und Behandlung bei uns zur Weiterbehandlung und Beobachtung zurück zu den Niedergelassenen“, sagt Professor Hein. Er empfiehlt allen Frauen, die jährliche Früherkennungsuntersuchung bei niedergelassenen Frauenärztinnen oder -ärzten in Anspruch zu nehmen. „Ganz wichtig ist auch die Impfung“, betont der Chefarzt. „Gebärmutterhalskrebs ist eine der wenigen Krebsarten, die man durch eine Impfung verhindern kann.“ Sinnvoll ist die Impfung aber, wenn sie vor dem ersten Sexualkontakt, möglichst im Alter von 9 bis 14 Jahren, erfolgt. Deshalb gehört sie zu den empfohlenen Impfungen für Kinder. Seit 2018 werden nicht nur die Mädchen, sondern auch die Jungen geimpft. „Denn sie sind ja ebenfalls Überträger des Virus“, sagt Professor Hein. „Wir fragen daher gezielt alle Frauen, die zu uns kommen, ob sie Kinder haben und ob diese geimpft sind“, sagt Dr. Kurz. gwn

1 | 2024 Esslinger Gesundheitsmagazin 15 Kontakt Annette Chr. Oppermann Niedergelassene Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Martinstraße 11 73728 Esslingen am Neckar Telefon 0711 355738 Durch Abstriche können frühzeitig Veränderungen am Gebärmutterhals erkannt werden. Frau Oppermann, wie viele Frauen schicken sie nach der Untersuchung zu Dysplasie-Spezialisten? Eine genaue Zahl kann ich Ihnen nicht nennen, aber eine Tendenz. Es sind weniger junge Frauen, sondern vor allem Frauen ab 35 Jahren, die wir zur weiteren Abklärung in die Dysplasiesprechstunde überweisen. Warum die Älteren? Das liegt am abgestuften System der Früherkennung. Frauen zwischen 20 und 30 Jahren haben häufig einen HPV-Virus. Deshalb testen wir sie gar nicht darauf. Nur wenn der Pap-Abstrich, den wir jährlich machen, auffällige Veränderungen zeigt, müssen wir sie nach sechs bis zwölf Monaten ein weiteres Mal testen und dann gegebenenfalls an die Spezialisten weiterleiten. Studien haben jedoch ergeben, dass Frauen über 35 Jahren eher selten am HPV-Virus leiden. Wenn doch, kann das ein Hinweis darauf sein, dass dieses chronisch ist und zu Gewebsveränderungen führen kann. Deshalb machen wir bei Frauen ab Mitte 30 alle drei Jahre zusätzlich zum Pap-Abstrich einen HPV-Test. Je nach Ergebnis – also Virusbefund und/oder Zellveränderungen - laden wir sie nach ein paar Monaten wieder ein. Ist das Ergebnis dasselbe, schicken wir sie zur weiteren Abklärung in die Dysplasie-Sprechstunde. Wenn es weder auffällige Gewebsveränderungen gibt noch einen Virus, ist bei älteren Frauen erst nach drei Jahren wieder eine Abstrichkontrolle vorgesehen. Warum ist die Früherkennung so wichtig? Wir wollen die Zellveränderungen erkennen, solange diese noch klein sind, nicht erst, wenn es schon zu Blutungen oder anderen Beschwerden kommt. Auf diese Weise kann sich erst gar kein Krebs entwickeln. Wie wichtig ist die HPV-Impfung? Sehr wichtig. Wir können gegen die gängigsten HPV-Viren-Typen impfen und so schon im Vorfeld Gewebsveränderungen und Krebs verhindern. Vor allem Frauen 35+ Impfen Sie in Ihrer Praxis? Als vor 15 Jahren die Impfung eingeführt wurde, empfahl man sie jungen Frauen zwischen 12 und 18 Jahren. Damals haben wir häufig geimpft. Mittlerweile wurde das empfohlene Impfalter auf 9 bis 14 Jahren gesenkt – auch weil man in diesem Alter nur zwei statt drei Impfdosen benötigt. Jetzt finden die Impfungen zumeist bei den Kinder- und Jugendärzten statt. Seit 2018 wird sie auch für Jungen empfohlen um den Gemeinschaftsschutz, also die Herdenimmunität, zu erhöhen. Impfen Sie auch erwachsene Frauen? In Ausnahmefällen ja. Zum Beispiel, wenn eine Frau nach einer Infektion mit HPV-Viren bereits eine Operation hinter sich hat und vor einer Neuansteckung geschützt werden soll. Dann zahlen auch manche Krankenkassen diese teure Impfung. Das Gespräch führte Gerlinde Wicke-Naber Annette Oppermann ist Gynäkologin mit eigener Praxis in Esslingen. Sie ist die erste Anlaufstelle im Früherkennungssystem für Gebärmutterhalskrebs und schickt die Patientinnen bei Bedarf in die Dysplasiesprechstunde. Nach welchen Kriterien sie das tut, hat sie uns im Interview erzählt. Facharzt-Interview: Annette Oppermann

16 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2024 Der Esslinger Manfred Schumacher verstand die Welt nicht mehr: Zuerst hatte der 71-Jährige wochenlang mit massiven Magen-Darm-Problemen zu kämpfen, dann erlitt er einen Schlaganfall – ausgelöst durch ein bis dahin unbekanntes Vorhofflimmern. „Ich schaute eben noch meine Post durch, als ich mich plötzlich auf dem Boden wieder fand. Ich starrte auf den Notruf-Button meines HandyDisplays, war aber nicht fähig, draufzudrücken. Da ich allein lebe, konnte mir niemand helfen“, erinnert sich der Rentner. „Ich war vollkommen neben mir, schaffte es aber irgendwie meine Nachbarn zu alarmieren. Die riefen den Notarzt und ich landete in der Notaufnahme im Klinikum Esslingen. Zum Glück war es nur ein leichter Schlaganfall ohne bleibende Beeinträchtigungen“, erinnert sich der frühere Elektroingenieur. „Es dauerte zwei bis drei Tage, bis ich keine Gedächtnisausfälle mehr hatte.“ Erstes Symptom: ein Schlaganfall So wie Manfred Schumacher geht es vielen Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern. „Das Tückische ist: Sie spüren nichts oder sie bemerken nur die Folgen der Herzrhythmusstörung: die Herzschwäche. Sie kommen schon bei leichten Belastungen in Atemnot oder haben schwer zuzuordnende Symptome. Dramatisch ist allerdings, wie in seinem Fall, wenn ein Schlaganfall das erste SymTaktgeber wieder unter Kontrolle Als erstes zertifiziertes „Vorhofflimmer-Zentrum“ in der Region Stuttgart setzt das Klinikum Esslingen eine neue, hoch effektive und schonende Methode ein: die „Pulsed Field Ablation (PFA)“. Eng vernetzt mit dem ambulanten MVZ Kardiologie werden Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern hier bestens versorgt.

1 | 2024 Esslinger Gesundheitsmagazin 17 ptom des Vorhofflimmerns ist“, erklärt Professor Tillman Dahme, Chefarzt der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie. „Dann sind durch das Vorhofflimmern Blutgerinnsel entstanden, die im Gehirn einen Schlaganfall ausgelöst haben. Bei 20 bis 30 Prozent aller Schlaganfälle ist Vorhofflimmern die Ursache.“ Warnsignale ernst nehmen Glücklicherweise ist das nicht bei allen Patientinnen und Patienten so. Viele Betroffene nehmen die für Vorhofflimmern typischen, anhaltenden Herzstolperer oder Herzrasen wahr. „Wenn Betroffene diese Symptome bei sich bemerken, sollten sie diese unbedingt vom Hausarzt abklären lassen. Denn das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden ist groß. Bei akuter Herzschwäche oder Bewusstseinsverlust, in der Fachsprache Synkope genannt, sollten Angehörige den Notarzt rufen oder die Betroffenen in die Notaufnahme bringen“, rät Professor Dahme. Vorhofflimmern ist häufigste Herzrhythmusstörung Manfred Schumacher ist kein Einzelfall. Vorhofflimmern ist die häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung, knapp zwei Millionen Menschen sind davon betroffen. Tatsächlich leiden ein bis zwei Prozent der Menschen daran, bei über 80-Jährigen sind es zehn Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, einmal im Leben an Vorhofflimmern zu erkranken, liegt bei 25 Prozent. „Das Problem beim Vorhofflimmern ist, dass die Herzmuskelzellen des Vorhofs nicht mehr miteinander koordiniert sind. Der normale Taktgeber, der Sinusknoten, gibt nicht mehr den Herzrhythmus vor. Die Herzzellen im Vorhof flimmern und geben die Erregung chaotisch weiter. Dadurch wird der Herzschlag unregelmäßig und sehr schnell in die Kammern geleitet,“ erklärt Chefarzt Dahme. Man unterscheidet das sogenannte paroxysmale Vorhofflimmern das anfallsweise, nur Sekunden, Minuten oder Tage anhält und wieder von selbst verschwindet vom persistierenden, anhaltenden Vorhofflimmern, das bestehen bleibt, bis man es behandelt. Nicht zu verwechseln sind vereinzelte Herzstolperer oder Herzaussetzer: sie deuten eher auf Extrasystolen hin. „Dies sind Herzschläge, die zusätzlich zum normalen Herzrhythmus auftreten. Sie sind meistens ungefährlich und bedürfen keiner Behandlung. Da sie allerdings Warnzeichen einer schwereren Herzerkrankung sein können, sollten sie immer anhand eines EKGs abgeklärt werden“, rät der Herzspezialist. Nur noch wenig leistungsfähig Manfred Schumacher hatte sich zwar nach seinem Aufenthalt im Klinikum Esslingen von seinem Schlaganfall erholt, aber sein Vorhofflimmern machte ihm noch sehr zu schaffen: „Ich war >>> Prof. Dr. Tillman Dahme Ambulant und stationär verzahnt Chefarzt Professor Dr. Tillman Dahme und sein Team sind nicht nur Experten für Vorhofflimmern, sie decken das gesamte Spektrum kardiologischer Erkrankungen ab. Ob Herzinfarkt, Herzschwäche, Herzklappenfehler oder Herzrhythmusstörungen, von den Herzspezialisten am Klinikum Esslingen mit angegliedertem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) werden am Klinikum Esslingen leiten. „Kommt ein Patient oder eine Patientin mit Verdacht auf Vorhofflimmern ins MVZ, untersuchen wir sie gründlich. Bestätigt sich der Verdacht, übergeben wir sie direkt in die Spezialambulanz für Vorhofflimmern im Klinikum Esslingen. Dann kann schon am nächsten Tag eine Ablation erfolgen, bestenfalls nach der neuen PFA-Methode.“ „Das Prinzip der kurzen und schnellen Wege gilt auch andersrum: War eine Patientin zum Beispiel bei einer Herzkatheteruntersuchung im Klinikum Esslingen, kann ich, wenn sie datenschutzrechtlich einverstanden ist, ihre Befunde direkt einsehen“, erklärt Dr. Denninger. „Genauso können wir bei Bedarf schnellstmöglich einen Implantationstermin für einen Herzschrittmacher im Klinikum Esslingen vereinbaren - mit schneller Entlassung, da wir direkt die Nachsorge übernehmen.“ Dr. Staudenrauß ergänzt: ,,Dringende Fälle bekommen bei uns im MVZ auch kurzfristige Termine. Wir versuchen immer Notfalltermine freizuhalten.“ Seit 2010 bietet das Klinikum Esslingen moderne Ablationsverfahren an.

18 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2024 >>> schon früher immer etwas kurzatmig. In der Ebene ging es gut, aber beim Bergwandern oder Treppensteigen ab der zweiten Etage blieb mir die Luft weg. Jetzt weiß ich, dass es nicht bloß am Alter lag.“ Nach seinem Schlaganfall Mitte August 2023 verschlechterte sich sein Zustand. Auch in seinem Herzen wurden mehrere Blutgerinnsel entdeckt. Seine Leistungsfähigkeit war nur noch zu etwa 25 Prozent vorhanden. „Ich bekam Blutverdünner und eine Rehabilitation, aber es wurde nicht besser“, berichtet der Patient. Elektroschocks und PFA-Ablation Professor Dahme und sein Team des Vorhofflimmer-Zentrums sahen zwei Möglichkeiten für Manfred Schumacher: Die eine war die Behandlung mit Elektroschocks, auch elektrische Kardioversion genannt. „Unter einer kurz wirkenden Narkose platzieren wir dabei Elektroden auf der Brust des Patienten, die mit einem Defibrillator verbunden sind. Sorgfältig überwacht und kontrolliert gibt der Defibrillator einen gezielten elektrischen Stromstoß ab, um den normalen Herzrhythmus wiederherzustellen“, erklärt Professor Dahme. „Die Wirkung hielt aber nur kurz an und sein Herz geriet schnell wieder aus dem Takt.“ Die zweite Möglichkeit war die Ablationstherapie, bei ihm die spezielle neue „Pulsed Field Ablation“- Methode (PFA). Die Ablationstherapie „Bei der Ablationstherapie mithilfe der Pulmonalvenenisolation geht es um eine Verödung, bei der die Lungenvenen elektrisch isoliert werden“, sagt Chefarzt Dahme. „Ich erkläre es gerne so: Vorhofflimmern fängt immer in den Lungenvenen an. Auslöser sind Störsignale der Lungenvenen, die die Herzmuskelzellen der Vorhöfe aus dem Takt bringen. Bei dem minimal-invasiven Eingriff veröden wir mithilfe eines Katheters gezielt Herzmuskelzellen im linken Vorhof. So entstehen Narben um die Lungenvenen, die verhindern, dass die Impulse von den Lungenvenen in den Vorhof weitergeleitet werden. Wir sperren diese Störsignale sozusagen in den Lungenvenen ein, um den normalen Herzrhythmus wiederherzustellen. Vorhofflimmern Risikofaktoren Alter, Bluthochdruck, Herzschwäche, Koronare Herzkrankheit (KHK), Diabetes und übermäßiger Alkoholkonsum können Vorhofflimmern bedingen. Beim „Holiday-Heart-Symptom“ tritt es nur einmalig nach Alkoholexzess auf. Symptome: Nicht jeder Betroffene spürt Symptome. Häufige Anzeichen sind Herzklopfen, Herzrasen, Atemnot, Müdigkeit, Schwindel oder Brustschmerzen. Diagnose: Neben einer Anamnese geben ein Elektrokardiogramm (EKG) oder ein Langzeit-EKG Aufschluss. Behandlungsmöglichkeiten: Ziel ist es, den Herzrhythmus und die Herzfrequenz zu normalisieren und das Schlaganfallrisiko mit Gerinnungshemmern zu minimieren. Für die Rhythmuskontrolle sind Medikamente oder die herkömmliche Methode der elektrischen Kardioversion mittels Stromstoß durch einen Defibrillator eine Möglichkeit. Diese Maßnahmen wirken oft nicht nachhaltig. Die wichtigste und effektivste Behandlungsmethode ist die „Pulsed Field Ablation (PFA)“, die Ablation mithilfe der Pulmonalvenenisolation (Verödung der Lungenvenen). Das Klinikum Esslingen setzt diese neue und schonende Methode bereits als Vorreiter in der Region Stuttgart ein. Lebensstiländerungen: Betroffene sollten auf eine gesunde Ernährung achten, regelmäßige körperliche Aktivität in ihren Alltag integrieren, den Konsum von Alkohol und Koffein reduzieren und nicht Rauchen. „ Vorhofflimmern fängt immer in den Lungenvenen an. Auslöser sind Störsignale der Lungenvenen, die die Herzmuskelzellen der Vorhöfe aus dem Takt bringen.”

1 | 2024 Esslinger Gesundheitsmagazin 19 Kontakt Klinikum Esslingen Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie Chefarzt Professor Tillman Dahme Telefon 0711 3103-2401 kardiologie@klinikum-esslingen.de Bereits seit 2010 bietet das Klinikum Esslingen moderne Ablationsverfahren an. Die Verfahren sind sehr aufwändig und innerhalb der Kardiologie eine Spezialdisziplin. Professor Dahme führte seit seinem Start im April 2023 als Chefarzt im Klinikum Esslingen bereits zahlreiche Ablationstherapien mit großer Erfahrung und Expertise durch. „Bei der Radiofrequenztherapie setzen wir Hitze ein, bei der Kryoballontherapie Kälte. Dabei legen wir mithilfe eines Ballons eine kreisrunde Narbe um die Lungenvene.“ Weltweit wurden mit diesen Techniken bisher 1,5 Millionen Patientinnen und Patienten erfolgreich behandelt. Die Methoden werden ständig weiterentwickelt. Neu: Pulsed Field Ablation (PFA) Ein neues, hoch effektives und schonendes Verfahren ist die „Pulsed Field Ablation (PFA). Im Gegensatz zu herkömmlichen Methoden setzt die PFA hochenergetische elektrische Felder mit einer Spannung von 2000 Volt und einer kürzeren Einwirkzeit ein. Als erstes zertifiziertes „Vorhofflimmer-Zentrum“ in der Region Stuttgart bietet das Team um Professor Dahme Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern am Klinikum Esslingen diese neue Ablationstherapie an. „Bei Manfred Schumacher schlossen wir zuerst weitere Blutgerinnsel aus. Dann operierten wir ihn im Dezember 2023 im Herzkatheterlabor. Unter örtlicher Betäubung führten wir einen dünnen Schlauch – den Katheter – über die Leiste ein und schoben ihn bis zum Herzen vor, wo dann die PFA erfolgte“, erklärt Professor Dahme. „Der Eingriff dauerte nur etwa eine halbe Stunde. Schon einen Tag nach der Ablation konnte er nach Hause. Der große Vorteil der PFA-Methode ist, dass sie sehr spezifisch und gezielt an den Herzmuskelzellen wirkt: Nerven-, Speiseröhren- „ Der große Vorteil der PFAMethode: Sie wirkt spezifisch an den Herzmuskelzellen. Nerven, Gefäße und Speiseröhre werden geschont.” und Gefäßzellen werden nicht geschädigt. Nebenwirkungen, die bei den herkömmlichen Ablationsverfahren auftraten wie zum Beispiel die zwar seltenen, aber lebensgefährlichen Fisteln an der Speiseröhre sind beseitigt. Eine Lähmung der Zwerchfellnerven war die häufigste Nebenwirkung bei der Kryotherapie: sie entfällt bei der PFA ganz.“ Bislang wurden etwa 30.000 Betroffene mit der PFA behandelt. Diese gibt es erst seit zwei bis drei Jahren. Manfred Schumacher half sie zurück ins Leben. Endlich wieder fit „Nach der Entlassung freute ich mich über die sofortige Wirkung: Ich komme jetzt wieder ohne Atemnot in meine Wohnung im dritten Stock“, freut sich der Rentner. Seitdem hat er kein Vorhofflimmern mehr und fühlt sich deutlich belastbarer. „Wir konnten die Pumpkraft seiner linken Herzkammer mit der PFA-Ablation deutlich stärken, die – offenbar als Folge des Vorhofflimmerns – hochgradig eingeschränkt war“, zeigt sich auch Professor Dahme hoch zufrieden. Klinikum Esslingen als Vorreiter „Wir sind mit unserem seit September 2023 zertifizierten Zentrum für Vorhofflimmern Vorreiter in der Region. Das Klinikum Esslingen übererfüllt die von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie geforderten Kriterien sogar“, berichtet der Chefarzt. „Bei uns arbeiten nicht nur, wie gefordert, zwei zertifizierte Elektrophysiologen, sondern drei. Und wir führen nicht nur die geforderten 75 Vorhofflimmern-Ablationen pro Jahr durch, sondern mehr als 200. Unser Zentrum steht für höchste Qualität, Expertise, Erfahrung und Sicherheit für Patientinnen und Patienten.“ „Dies kann ich nur bestätigen: Ich habe mich im Klinikum Esslingen sehr kompetent betreut gefühlt, sowohl nach meinem Schlaganfall als ich zehn Tage stationär war als auch bei der Ablation. Nun hoffe ich, dass meine Herzrhythmusstörung dauerhaft beseitigt ist“, sagt Schumacher, der noch viel vor hat: „Im Moment gehe ich sechsmal pro Woche ins Fitnessstudio und mache Krafttraining, Gleichgewichtsübungen und Sturzprophylaxe. Mein Ziel ist es, im Sommer wieder Bergwandern zu gehen.“ ast Der Katheter für die Pulsed Field Ablation (PFA) wird in zwei Konfigurationen angewendet: als Blume (hier abgebildet) und als Körbchen. Mithilfe des Katheters werden die Lungenvenen verödet, um den normalen Herzrhythmus so schonend und effektiv wie möglich wiederherzustellen.

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