Ausgabe 1 >2024

44 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2024 Suizidassistenz als rechtliche Grauzone Sich als Pflegheim mit dem Thema Suizidassistenz auseinanderzusetzen, ist für Naujoks Gebot der Zeit: „Der Gesetzgeber hat 2020 mit dem BVG-Urteil das Recht auf Suizidassistenz verankert, hat es aber seitdem noch nicht geschafft, klare Regeln zur Sterbehilfe aufzustellen. Momentan bewegt sich da Vieles in rechtlichen Grauzonen. Das war für uns ein Anlass zu sagen: Wir müssen für uns als Heim einen Handlungsrahmen definieren.“ Er betont: „Wir verurteilen niemanden, der Suizidgedanken hat. Für mich stand aber bereits zu Beginn des Projekts fest: Unsere Einrichtungen dürfen nicht zu Orten gewohnheitsmäßiger Suizidassistenz werden. Dem müssen wir einen Riegel vorschieben.“ Warum diese klare Kante? „Man stelle sich mal vor, wir sagen morgens beim Frühstück in der Wohngruppe an: In Zimmer 53 bitte nicht mehr eintreten, dort wird heute ein Suizid durchgeführt. Und dann passiert so etwas regelmäßig. Für Bewohner und Angehörige wäre das sehr verstörend. Das hätte fatale Auswirkungen auf unsere Heimkultur und das Leben in unseren Heimen.“ Und nicht nur um den Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner geht es Naujoks: „Wir haben auch eine Fürsorgepflicht gegenüber unseren Mitarbeitern. Wir müssen sie davor schützen, dass die Begleitung bei der Assistenz zum Suizid als inklusive Dienstleistung von ihnen erwartet werden könnte. Suizidhandlungen können bei den Beteiligten schlimme Spuren hinterlassen. Dem möchten wir niemanden aussetzen.“ Klare Haltung Auch wenn also in den Workshops nicht ergebnisoffen diskutiert wurde, sind sich alle Beteiligten einig: Die intensive Auseinandersetzung in der Gruppe war wichtig, um das komplexe Thema mit all seinen Facetten und Konsequenzen zu greifen. „Wir haben uns im Laufe des Prozesses viel Wissen angeeignet“, so Silvio Schuster. Ende 2023 verabschiedete die Projektgruppe ein Positionspapier, das einen verbindlichen Handlungsrahmen für alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter der Städtischen Pflegeheime vorgibt. Eine der Kernaussagen ist: „Beschäftigte der Städtischen Pflegeheime Esslingen bieten keine Begleitung beim assistierten Suizid an, auch nicht bei ausdrücklichem Wunsch von Bewohner:innen, Kurzzeitpflegegästen oder Tagesgästen.“ >>> „Ein Nein zur Suizidassistenz bedeutet für uns keinesfalls, dass wir weghören, wenn jemand sagt, er wolle sterben. Im Gegenteil, wir wollen gerade in schwierigen Zeiten verlässliche Begleiter sein.” Begriffsdefinition: Formen der Sterbehilfe Was ist Sterbehilfe? Von Sterbehilfe spricht man, wenn jemand in den Sterbeprozess einer anderen Person eingreift - entweder auf seinen ausdrücklichen Wunsch oder auf seinen mutmaßlichen Wunsch. Rechtlich gesehen gibt es vier Arten von Sterbehilfe. › Von aktiver Sterbehilfe spricht man, wenn jemand eine andere Person, die sterbewillig ist, direkt tötet. Bei dieser Form handelt es sich um eine Straftat im Sinne von § 216 StGB (Tötung auf Verlangen). Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. › Passive Sterbehilfe ist in Deutschland erlaubt. Es muss eine gültige Patientenverfügung vorliegen oder eine entsprechende Willensäußerung des Betroffenen. Bei dieser Form werden lebenserhaltende Maßnahmen reduziert oder beendet, in der Regel nach Absprache mit dem Betroffenen und/oder seinen Angehörigen. Dies betrifft meistens Menschen, die unheilbar krank sind und nur noch eine bestimmte Lebenserwartung haben. › Indirekte Sterbehilfe ist in Deutschland ebenfalls legal und erlaubt. Hierbei geht es um Maßnahmen, die zwar kurzfristig für eine Verbesserung des Zustandes des Betroffenen sorgen, aber langfristig eine Verkürzung des Lebens bedeuten. Der Betroffene hat also weniger Schmerzen durch die Behandlung, allerdings rückt der Tod dadurch näher. Hierzu zählt beispielsweise in der palliativen Versorgung der Einsatz starker Morphine. › B eihilfe zum Suizid: In Deutschland ist die Selbsttötung kein strafbares Delikt, so dass auch die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar ist. Quelle: www.juraforum.de/lexikon/sterbehilfe

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