Ausgabe 1 >2024

1 | 2024 Esslinger Gesundheitsmagazin 47 für eine Weile langsamer arbeiten lässt. Mit Botox, das die meisten als Mittel der Schönheitsindustrie gegen Falten kennen, versetzt die Ärztin die hyperaktiven Schweißdrüsen für eine Weile in einen langsameren Modus. Zehn bis 14 Tage nach der Injektion in die betroffenen Drüsen setzt die Wirkung ein. Etwa vier bis sechs Monate hält sie an. Dann merken die Betroffenen, dass das Schwitzen wieder zunimmt. Die Krankenkassen zahlen diese Behandlung zumeist nicht. Etwa 300 bis 500 Euro kostet eine Injektion mit Botox je nach Größe des betroffenen Areals. Nach spätestens einem halben Jahr ist die nächste Spritze fällig. Nicht gerade billig. „Den Patientinnen und Patienten ist es das aber wert. Der Leidensdruck ist sehr groß. Die Spritze macht sie wieder salonfähig“, sagt Dr. Schrödel. Einsatz auch bei Spastiken Auch im Klinikum Esslingen gibt es eine Botox-Ambulanz, die die Neurologin Dr. Annette Niessen vor zehn Jahren ins Leben gerufen hat. Sie behandelt aber nur bei Indikationen, für die die Krankenkassen bezahlen. Das bedeutet: Nur bei übermäßigem Schwitzen in den Achseln, nicht an anderen Körperstellen, setzt Dr. Niessen die Spritze. Doch nicht nur aufgrund einer Hyperhidrose kommen Patientinnen und Patienten in ihre Sprechstunde: Viele leiden an einer Behinderung wie Spastiken. Dabei verkrampfen Muskeln so sehr, dass der Betroffene zum Beispiel nicht mehr seine Hand öffnen kann. „Oder er hat einen Spitzfuß, den er immer seitlich auf dem Boden aufsetzt“, erklärt Dr. Niessen. Um zu vermeiden, dass diese Fehlstellungen sich verhärten, spritzt die Ärztin Botox in die betroffenen Muskeln. Das führt dazu, dass sich die Muskeln entspannen und die Hand zum Beispiel wieder geöffnet werden kann. Nur drei Monate hält die Wirkung der Injektion an. “Ich habe Patienten, die kommen dann alle drei Monate zu mir. Das Botox verbessert die Lebensqualität und kann auch Schmerzen vermindern." Botox ist ein Nervengift. Oft hören die Ärztinnen deshalb Reaktionen wie: „Wie kann man sich freiwillig ein Gift spritzen lassen!“ Sie verstehen diese Argumentation nicht. „Jedes Medikament ist ein Gift. Es kommt immer auf die Dosis an”, sagt Dr. Niessen. Spritze gegen Migräne Sowohl Dr. Schrödel als auch Dr. Niessen setzen Botox auch bei anderen Krankheitsbildern ein, zum Beispiel Migräne. Schrödel weiß aus eigener leidvoller Erfahrung, wie lebenseinschränkend diese Krankheit sein kann. Ihr hat Botox geholfen. Die Therapie ist allgemein anerkannt und wird sogar von einigen Krankenkassen bezahlt. Zumindest in schweren Fällen, bedeutet, wenn die Patientinnen und Patienten viele Tage im Monat unter Migräne leiden und keine anderen Medikamente wirken. „Ich habe Patientinnen, die leiden 15 Tage im Monat unter starken Beschwerden. Da ist ein normales Leben nicht möglich. Oder die Betroffenen müssen dauerhaft viele Tabletten schlucken.“ Die Ärztin sieht nur Vorteile durch eine Behandlung mit Botox: „Warum soll ich jahrelang täglich Medikamente einwerfen, wenn ich durch eine Injektion für mehrere Monate Ruhe habe?“ Auch bei Migräne dauert es bis zum Eintritt der Wirkung etwa zwei Wochen und hält dann vier bis sechs Monate an. „Das Mittel wird in die Stirn direkt in die Muskeln gespritzt. Dadurch wird der Muskel für eine Weile ruhiggestellt“, erklärt Dr. Schrödel. Ein von manchen Patientinnen und Patienten begrüßter Nebeneffekt: Die Stirnfalten werden durch die Injektion geglättet. Dr. Annette Niessen Dr. Sonia Schrödel Kontakt Klinikum Esslingen Klinik für Neurologie und klinische Neurophysiologie, Botox-Ambulanz Dr. Annette Niessen Fachärztin für Neurologie a.niessen@klinikum-esslingen.de Dr. Sonia Schrödel Fachärztin für Allgemeinmedizin Plochingerstr. 115 73730 Esslingen www.drschroedel.com Zähneknirschen In ihrer Praxis hat Dr. Schrödel auch Patientinnen und Patienten, die normalerweise einen Zahnarzt aufsuchen. Diese Personen leiden an Bruxismus, ständigem Zähneknirschen, vor allem nachts. Dieses Zähneknirschen wird verursacht durch einen hyperaktiven Kaumuskel, der nicht zur Ruhe kommt. Die Folgen des Knirschens sind beträchtlich: Die Patientinnen und Patienten leiden unter Kopf- und Nackenschmerzen, Verspannungen und natürlich leiden die Zähne darunter. Das kann bis zum Zahnausfall führen. Die gängige Therapie der Dentisten: Sie verordnen den Betroffenen eine Zahnschiene. „Das hilft, die Zähne zu schonen. Die Schiene kann jedoch nicht das eigentliche Problem des hyperaktiven Muskels lösen. Beschwerden wie Kopfschmerzen verschwinden dadurch nicht“, sagt Dr. Schrödel. Sie behandelt diese Patientinnen und Patienten mit einer Botox-Injektion in den Muskel. „Durch die Spritze wird der Muskel nicht komplett lahmgelegt. Kauen ist bei der richtigen Dosierung weiter möglich“, betont die Ärztin. Aber der Muskel würde dadurch verlangsamt arbeiten - und das Zähneknirschen hört auf. Der Nachteil dieser Behandlung: Auch sie muss von den Patientinnen und Patienten selbst bezahlt werden – und zwar alle paar Monate neu, wenn eine neue Spritze fällig wird. „Die meisten zahlen dies aber gerne, denn sie stehen unter einem hohen Leidensdruck“, sagt Dr. Schrödel. Botox verlangsamt hyperaktive Muskeln Zum Einsatz bringen die Ärztinnen Botox immer dann, wenn Drüsen oder Muskeln hyperaktiv sind: Bei Bruxismus sind es die Kaumuskeln, die überreagieren, bei Parkinson können die Speicheldrüsen verstärkt arbeiten und beim übermäßigen Schwitzen die Schweißdrüsen. Mit einer Spritze werden diese Muskeln nicht komplett ausgeschaltet, sondern einige Gänge verlangsamt. „Es ist schön, wenn ich den Menschen so helfen kann, wieder ein Stück Lebensqualität zurückzugewinnen.“ gwn

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