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Esslinger Gesundheitsmagazin 21
Noch vor 30 Jahren galt der Schlaganfall als Todesurteil – oder
zumindest als Garant für eine lebenslange Behinderung oder
Pflegebedürftigkeit. „Das hat sich wesentlich geändert“, sagt
Dr. Wolfgang Sperber, Chefarzt der Klinik für Neurologie und
Neurophysiologie am Klinikum Esslingen. Wer heute rechtzeitig
auf einer Spezialstation, der sogenannten Stroke Unit, behandelt
wird, hat gute Chancen, den Schlaganfall unbeschadet oder
zumindest mit nur leichteren Folgeerscheinungen zu überste-
hen. Längst verfügt die Medizin über hervorragende Mittel und
Wege, um die verstopften Gefäße im Gehirn wieder zu öffnen
oder Gehirnblutungen zu stillen. „Der entscheidende Faktor ist
die Zeit“, sagt Dr. Sperber.
Ein Schlaganfall äußert sich unterschiedlich – je nachdem wel-
che Gehirnregion betroffen ist. Das können Taubheitsgefühle
und Lähmungserscheinungen sein oder Sehstörungen wie Dop-
peltsehen, ein eingeschränktes Gesichtsfeld bis hin zur Erblin-
dung. Typisch sind auch der schiefhängende Mund, Sprachstö-
rungen, Schwindel, Kopfschmerzen und Verwirrtsein. „Wer diese
Symptome bei sich oder seinemGegenüber entdeckt, sollte ohne
Zögern den Notarzt rufen“, rät Dr. Sperber.
Manchmal bilden sich die Symptome nach wenigen Minuten
wieder zurück – was jedoch nicht bedeutet, dass es gar kein
Schlaganfall war. Vielmehr handelt es sich dann um eine soge-
nannte TIA (transitorisch-ischämische Attacke). „Der Schwabe
nennt es Schlägle“, erklärt Dr. Sperber, „diese kleinste Art des
Schlaganfalls sollte ebenfalls auf der Stroke Unit behandelt wer-
den, denn es handelt sich um einen klassischen Vorboten, der
ernst genommen werden muss.“ 40 Prozent der Patienten mit
einer TIA erleiden innerhalb der darauffolgenden fünf Jahre
einen Schlaganfall, die Hälfte innerhalb von drei Monaten.
„Wenn wir bereits die TIA behandeln, können wir meist den
großen Schlaganfall verhindern“, so der Neurologe.
Verstopfung oder Blutung
Es gibt zwei Arten von Schlaganfall: entweder ausgelöst durch
eine verstopfte Hirnarterie oder durch eine Gehirnblutung.
80 Prozent der Betroffenen erleiden einen sogenannten ischä-
mischen Schlaganfall, dessen Ursache eine Thrombose oder
Embolie ist. Durch Arteriosklerose kommt es dabei zu einer Ver-
stopfung der hirnversorgenden Arterien. Bei einer Thrombose
entsteht das Blutgerinnsel direkt an der arteriosklerotischen
Verengung. Bei einer Embolie reißt sich ein Blutgerinnsel an einer
anderen Stelle los, wird mit dem Blutstrom ins Gehirn
geschwemmt und verstopft dann ein Gefäß. „Das betroffene
Hirngewebe wird nicht mehr mit Sauerstoff versorgt und stirbt
ab“, so der Neurologe, „je nachdemwelche Region betroffen ist,
kommt es dann zu den jeweiligen Symptomen.“
20 Prozent der Schlaganfälle werden durch eine Hirnblutung
verursacht, im Fall eines solchen hämorrhagischen Schlaganfalls
wird das Hirngewebe durch eine Blutansammlung geschädigt.
Für nahezu ein Drittel dieser Schlaganfälle ist die sogenannte
Subarachnoidalblutung (SAB) verantwortlich. ImRaum zwischen
der mittleren Hirnhaut (Spinnwebshaut) und der Hirnoberfläche,
der mit Hirnwasser (Liquor cerebrospinalis) gefüllt ist, verlaufen
sehr viele Blutgefäße. Platzt ein Gefäß, bevor es in das Gehirn-
gewebe eintaucht, breitet sich das austretende Blut imSubarach-
noidalraum aus und drückt von außen auf das Gehirn. Bei man-
chen Menschen sind die Gefäßwände – auch angeboren – zu
dünn. Es bildet sich eine sackartige Ausbuchtung
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Wer ist gefährdet?
Einem Schlaganfall kann man vorbeugen, der Prävention
kommt daher eine große Bedeutung zu. Zwar lassen sich Alter
und genetische Anlagen nicht beeinflussen, dennoch gibt es
Risikofaktoren, die eine Attacke begünstigen. Dazu zählt in
erster Linie der Bluthochdruck. „Manche Menschen merken
jahrelang nicht, dass sie einen viel zu hohen Blutdruck haben,
weil sie sich gut fühlen und nie messen“, sagt Dr. Sperber. Er
rät deshalb jedem, regelmäßig seinen Blutdruck überprüfen
zu lassen. Das bietet zum Beispiel jede Apotheke an. Vor allem
gilt das für übergewichtige Personen, die sich wenig bewe-
gen.
Die wichtigsten Risikofaktoren sind:
Alter
Bluthochdruck
Rauchen
Fettstoffwechselstörungen
Diabetes mellitus
Übergewicht
Bewegungsmangel
Je mehr Faktoren zutreffen, desto mehr steigt das Risiko.
Diese Personen sollten dringend regelmäßige Vorsorgeunter-
suchungen durchführen lassen und vor allem versuchen, die
Risikofaktoren zu reduzieren.
„Auch Patienten mit Vorhofflimmern haben eine erhöhte
Schlaganfallgefahr“, erklärt der Neurologe, weil sich bei dem
verlangsamten Blutfluss im Vorhof leichter ein Gerinnsel bil-
den kann. Ohne Behandlung erleidet ein Drittel der Patienten
mit Vorhofflimmern einen Schlaganfall. Immer wieder unter-
schätzt wird von jungen Frauen außerdem die Kombination
von Rauchen und Antibabypille. Denn die veränderte Blutge-
rinnung bei Einnahme der Pille fördert die Entstehung von
Thrombosen und erhöht die Gefahr einer Hirnblutung. „Wer
die Pille nimmt, sollte unbedingt das Rauchen sein lassen“,
rät Dr. Sperber.
Oberärztin Dr. Birgit Göpfert-Mauthe
beim Kopf-Ultraschall