Ausgabe 2 >2018
26 Esslinger Gesundheitsmagazin 2 2018 Alle Erwartungen übertroffen Die Hypothese der Studie war eine Verbesserung der Ansprech- rate von zehn bis 15 Prozent. Selbst das wäre schon ein Erfolg der Studie gewesen. Doch seine Erwartungen wurden übertrof- fen. „Wir haben mit Erstaunen festgestellt, dass in 85 Prozent der Fälle der Tumor ummehr als 30 Prozent zurückgegangen ist. Therapieversager existieren nicht mehr.“ Waren es bei der Behandlung mit der Vierfachchemotherapie noch zwei bis zwei- einhalb Jahre durchschnittlich gewonnene Lebenszeit, sind es mit der Methode von Professor Geißler nun schon mehr als vier Jahre, die die Patienten an Lebenszeit gewinnen. In manchen Fällen kann gar eine Heilung erzielt werden. Ein besonders wich- tiges Ergebnis der Studie war die Feststellung, dass 70 Prozent der Metastasen in Leber, Lunge, Bauchfell und Lymphknoten, die die spezialisierten Chirurgen an den Studienzentren als primär nicht operabel eingestuft hatten, durch die Chemo therapie plus Panitumumab später chirurgisch entfernt oder mit anderen Lokalverfahren wie Hitze und Bestrahlung zerstört werden konnten. Doch es gab strenge Voraussetzungen, um überhaupt für die Studie in Frage zu kommen. „Die Patienten mussten ihren Alltag weitestgehend alleine bestreiten können. Diese Krebsbehand- lung ist sehr kräftezehrend und anstrengend. Uns war daher wichtig, dass die Patienten fit sind.“ Das erklärt auch den hohen Anteil junger Menschen, die an der Studie teilnahmen. Das Durchschnittsalter lag bei gerade einmal 59 Jahren. Üblich ist bei Studien dieser Art ein weitaus höheres Alter, nämlich 65 bis 67 Jahre. „Häufig hatten die Teilnehmer schon bei der Erst diagnose mit einem sehr stark fortgeschrittenem Erkrankungs- verlauf und einem aggressiven Tumorwachstum zu kämpfen. Ohne diese Therapie war ihre Lebenserwartung gering.“ Einen Wermutstropfen gibt es dennoch. Nicht jeder Patient mit fortgeschrittenem Darmkrebs, auch wenn er fit zu sein scheint, kommt für die Behandlung mit Panitumumab in Frage. Bei 50 Prozent aller Patienten liegt eine sogenannte RAS-Mutation an den Rezeptoren vor. Ein am Rezeptor, also dem „Schlüsselloch“, hängendes Protein sorgt in diesem Fall für ein unkontrollier- bares Wachstum der Tumorzellen. „Zu Beginn einer möglichen Therapie wird deshalb eine Genanalyse durchgeführt. Nur wenn die Rezeptoren an den Krebszellen keine Mutation aufweisen, können wir mit dem Antikörper wirkungsvoll agieren.“ Von Esslingen nach Chicago und dann in die Welt Bisher ist eine Antikörpertherapie mit Panitumumab aus- schließlich bei Zweifachchemotherapien zugelassen. „Wir können aber in Esslingen Patienten mit der neuen Methode behandeln, auch wenn sie noch nicht zugelassen ist. Bei einem Patienten, der ohne eine solche Behandlung nur eine kurze Lebenserwartung hat, beraten wir im interdisziplinären Tumor- board, ob zum Wohle des Patienten die Therapie nicht doch angewendet werden kann.“ Ein klarer Standortvorteil für Patienten in Esslingen. Professor Geißler schätzt, dass in zirka zwei Jahren alle Patienten von den neuen Erkenntnissen profi- tieren können. Derzeit wertet er mit Kollegen aus München, Italien und Spanien die Ergebnisse weiter aus. „Wir überprüfen das gesamte Erbgenommaterial der Patienten, also Blut- und Gewebeproben aus den Metastasen. Daraus können wir erfah- ren, warum bei manchen Patienten die Therapie besonders gut, bei andern weniger gut angeschlagen hat.“ Ein externer Radio- >>> loge prüft zudem anhand von CT-Aufnahmen, wann und wie tief ein Patient auf die Therapie angesprochen hat. „Wir erhoffen uns dadurch Erkenntnisse, ab welchem Zeitpunkt Metastasen für den Chirurgen als operabel angesehen werden.“ Erstmals präsentierte Professor Geißler im Mai 2018 die Studienergebnisse vor mehr als 20.000 Medizinern auf dem weltweit größten Krebskongress in Chicago, organisiert durch die American Society for Clinical Oncology (ASCO). Jährlich diskutieren Onkologen aus der ganzen Welt hier die neuesten Studienergebnisse der Krebsforschung. Wer dort seine Ergeb- nisse präsentieren darf, dem ist die Aufmerksamkeit der Fach- welt sicher. Und die schaut nun auf Professor Geißler und auf das Klinikum Esslingen. fw Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Onkologie/Hämatologie, Gastroenterologie und Infektiologie Telefon 0711 3103-2451 m.gei ßler@klinikum-esslingen.de Professor Dr. Michael Geißler Info Bei einer weiteren, von Professor Dr. Michael Geißler initiierten und international durchge- führten Studie konnte der erfahrene Onkologe nachweisen, dass bei Zweifachchemotherapien, die mit einer Antikörperimmuntherapie kombi- niert sind, die Lebensqualität der Patienten deutlich gesteigert werden kann. Ursächlich ist auch hier der Antikörper, der sich an den Rezep- tor der Krebszelle anschließt und dieser dadurch die Wachstumsoption nimmt. Die Forscher fan- den heraus, dass die eigentlichen Beschwerden nicht durch die Therapie, sondern durch das Wachstum der Krebszellen bedingt werden.
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