Ausgabe 2 >2018

2 2018 Esslinger Gesundheitsmagazin 39 Depressionen Jede Depression ist individuell, ebenso ihre Symptome – das möchte Dr. Björn Nolting, Chefarzt der Klinik für Psycho- somatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Esslingen, von Anfang an betonen. Und trotzdem lassen sich bei Frauen und Männern auch allgemein Unterschiede feststellen. Frauen zeigen Symptome, die gesell- schaftlich klassisch mit einer Depression verbunden werden: Freudlosigkeit, nie- dergedrückte Stimmung und sozialer Rückzug. „Männer dagegen reagieren gereizt, sind oft ungeduldig und lassen sich von Kleinigkeiten aus dem Konzept bringen“, sagt Dr. Nolting. Da männliche Patienten häufig nicht die klassischen Symptome erfüllen, denken Ärzte auch oft nicht primär an eine affektive Stö- rung, zu denen Depressionen gezählt werden. „Die gesellschaftlichen Erwar- tungen und das Rollenverständnis, wie ein Mann zu sein hat, führen oft dazu, dass man eine falsche Perspektive einnimmt.“ Bei Männern wird daher zunächst nach einer körperlichen Ursa- che für die Symptome gesucht, wie zum Beispiel einem Tumor. Beim „schwachen Geschlecht“ Frau wird dagegen doppelt so häufig eine Depression diagnostiziert. Auch auf der psychotherapeutischen Sta- tion am Klinikum Esslingen findet man deutlich mehr Patientinnen als Patienten. Überdiagnostiziert seien Frauen aber nicht, sagt Dr. Nolting. „Es gibt klare Kriterien der Weltgesundheitsorganisa- tion (WHO) anhand derer die Diagnose gestellt wird.“ Hilfe annehmen Einer der Gründe, warum mehr Frauen in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie behandelt werden, ist, dass sie eher bereit sind, sich Hilfe zu suchen und Schwäche einzugestehen. „Frauen kümmern sich präventiv um ihre Gesundheit. Viele Männer dagegen suchen sich erst Hilfe, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, sagt er. Davor wird von den Männern vieles unternommen, um die Erkrankung zu kompensieren, beispielsweise durch starken Alkoholkonsum oder exzessiven Sport. Männer rutschen dadurch oft in eine chronische Depression und suchen sich erst Hilfe, wenn das Umfeld nicht mehr mitspielt: Die Ehefrau zieht mit den gemeinsamen Kindern aus oder man erhält die Kündigung vom Arbeitgeber. Beide Situationen können allein schon ausreichen, um einen Menschen in eine Depression zu stürzen – egal ob Frau oder Mann. Dr. Nolting spricht von soge- nannten Schwellensituationen im Leben. Trotz der Unterschiede in der Ausprägung der depressiven Symptomatik bei Män- nern und Frauen gibt es bei dem ersten Schritt in der Behandlung bei Patientin- nen und Patienten für Dr. Nolting und sein Team keinen Unterschied. „Zunächst muss eine Beziehung zum Patienten aufgebaut werden. Diese Beziehung ist sehr individuell, unabhängig vom Geschlecht“, sagt er. So individuell wie eine Depression. Herzerkrankungen Der Herzinfarkt ist eines der besten Beispiele für die unterschiedlichen Reak- tionen des weiblichen und männlichen Körpers auf Erkrankungen. Während Männer über die klassischen Symptome, wie Schmerzen in der Brust mit Austrah- lung in den linken Arm und in den Ober- bauch klagen, macht sich der Herzinfarkt bei Frauen anders bemerkbar: „Sie leiden unter Rückenschmerzen, Kurzatmigkeit, Übelkeit und Erbrechen. Diese Symptome sind sehr unspezifisch und es ist daher nicht leicht, sie einem Herzinfarkt zu zuordnen“, sagt Professor Dr. Matthias Leschke, Chefarzt der Klinik für Kardio- logie, Angiologie und Pneumologie am Klinikum Esslingen. Bis vor einigen Jahren haben diese unspezifischen Symptome dazu geführt, dass der Herzinfarkt, auch Myokardinfarkt genannt, bei Frauen anhand der klinischen Symptomatik deutlich später als bei Männern diagnos- tiziert wurde, zumal das EKG nicht immer eindeutig einen Herzinfakrt erkennen lässt. Heute ermöglichen Blutuntersu- chungen die Identifikation von bestimm- ten Markern für den Herzinfarkt (soge- nannter Troponin-Test). Auch der Altersgipfel für einen Myokard- infarkt ist unterschiedlich, so erleiden Männer meist zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr einen Infarkt, Frauen in der Regel später, bei Frauen steigt das Risiko nach der Menopause einen Herzinfarkt zu entwickeln. „Davor bietet das weib­ liche Geschlechtshormon Östrogen eine schützende Wirkung für die Gefäße“, sagt Professor Leschke. Herzmedikamente wirken unterschiedlich Auch auf verschiedene Herzmedika- mente reagieren die Körper von Männern und Frauen unterschiedlich. Besonders bekannt ist in diesem Zusammenhang die DIG-Studie. Diese Studie, die 1997 publiziert wurde, hat die Wirkung des Medikaments Digitalis bei Herzinsuffi­ zienz untersucht. „Ergebnis war, einer- seits eine Reduktion stationärer Aufnah- men unter der Digitalis-Therapie, aber schwerwiegender war, dass Frauen unter der Einnahme von Digitalis ein deutlich höheres Risiko für einen plötzlichen Herztod hatten“, sagt der Chefarzt. Das Medikament wird daher nur noch sehr zurückhaltend eingesetzt, auch weil nun bessere Medikamente zur Behandlung der Herzschwäche zur Verfügung stehen.

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