Ausgabe 2 >2018

Besonders häufig entwickeln Patienten ein Blutgerinnsel, die unter einem Magen- oder Bauchspeicheldrüsentumor leiden, auch gynäkologische Tumoren, Lungen- oder Lymphdrüsenkrebs gehen häufig mit einer Thromboseanfälligkeit einher. „Gerade beim Bauchspeicheldrüsenkrebs gibt es eine besonders starke Immunreaktion des Körpers gegen den Tumor. Es entstehen lokale Entzündungen in den Gefäßwänden, die dazu führen, dass eine Blutgerinnungsaktivierung einsetzt.“ Auch können soge- nannte Proteasen dafür sorgen, dass das Gerinnungssystem angeregt wird. Sie gaukeln dem Körper vor, in den Gefäßwänden befände sich eine Blutung. „Damit wird dem Gehirn ein falsches Signal gesendet, das zur Steigerung der Blutgerinnung führt. Beide Mechanismen zusammen sind die häufigsten Ursachen für die Entstehung einer Lungenembolie bei Krebspatienten“, sagt Professor Geißler. Der Baumkuchen wird zum Chamäleon Professor Leschke und Professor Geißler arbeiten eng mit dem Esslinger Internisten Dr. Helmut Kachler zusammen, der die ambulante Betreuung von Thrombosepatienten im Blick hat. Er erklärt den Entstehungsprozess der Thrombose so: „Eine TVT entsteht meistens in der unteren Wade und entwickelt sich dann wie ein Baumkuchen nach oben.“ Die Fachsprache nennt das aszendierende Thrombose. Das erste gebildete Blutgerinnsel setzt sich an der Gefäßwand ab, das flüssige Blut wird vom Gerinnsel angezogen und gerinnt dadurch ebenfalls. So kann die Thrombose binnen weniger Tage hoch bis in die Beckenvene wachsen. „Je höher die Thrombose aszendiert, desto größer ist die Gefahr, dass ein neues, frisch gebildetes Gerinnsel nicht ganz mit der „geronnenen Nachbarschaft“ verwächst.“ Dann droht eine Embolie. Dazu sagt Professor Leschke: „Das Gerinnsel wird durch die Hohlvene in den Vorhof des Herzens geschwemmt und von dort über die Lungenarterien in die Lunge verschleppt.“ Der Throm- bus fließt dann mit einer solchen Geschwindigkeit, „als würde man ein leeres Fass in den Neckar werfen“, veranschaulicht Dr. Kachler. „Der Vergleich verdeutlicht, mit welcher Wucht ein sol- cher Blutpfropf in die Lunge gespült wird.“ Als Folge kann die Lunge nicht mehr ausreichend Sauerstoff aufnehmen. Unter den Krebspatienten entwickeln knapp acht Prozent während der Therapiephase eine Lungenembo- Professor Dr. Matthias Leschke ist Chefarzt der Klinik für Kar- diologie, Angiologie und Pneumologie am Klinikum Esslingen. Er behandelt regelmäßig Patienten, die von einer Thrombose betroffen sind, oder schlimmer, daraus eine Lungenembolie entwickelt haben. „Klassischer Weise entstehen Blutgerinnsel durch eine Immobilität des Patienten. Das heißt, eine Opera- tion oder lange Reisen in beengten Räumen können Throm- bosen begünstigen“, erklärt der Arzt. Schätzungsweise 80.000 bis 100.000 Neuerkrankungen gibt es pro Jahr, 95 Prozent der Gerinnsel bilden sich dabei in den tiefen Bein- oder Becken- venen. Der Experte spricht hierbei von einer TVT, einer tiefen Beinvenenthrombose. Damit es aber überhaupt erst so weit kommt, bedarf es ver- schiedener Faktoren. „Nach der sogenannten Virchow-Trias kennzeichnen wir die pathophysiologischen Bedingungen einer Thrombose.“ Eine erhöhte Gerinnungsneigung, verlangsamter Blutfluss durch zu wenig Bewegung und eine Veränderung der Gefäßwand tragen zur Gerinnselbildung bei. „Durch Bewegung wird die Wadenmuskelpumpe aktiviert und das Blut gen Herz geleitet. Bewegt man das Bein hingegen nicht, sackt das Blut ab, staut sich auf und die Entstehung einer Thrombose wird begünstigt“, so Professor Leschke weiter. Gefährdet, die Virchow-Trias zu entwickeln, sind neben älteren Menschen vor allem Raucher, Schwangere, Frauen die mit Hormonpräparaten verhüten, Menschen mit Übergewicht oder einer Neigung zu extremer Blutgerinnung, Thrombophilie genannt – aber auch Krebspatienten sind häufig von Throm- bosen betroffen. Geschädigte Gefäßwände Professor Dr. Michael Geißler, Chefarzt an der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Onkologie/Hämatologie, Gastro- enterologie und Infektiologie erklärt: „Es ist die Beschaffen- heit des Tumors, die das Gerinnsel bedingt. Die Gefäßwände der Organe, die in den Tumor einwachsen, sind brüchig. An diesen Stellen finden permanente Reparaturen statt. Dadurch verläuft der Blutstrom in den betroffenen Gefäßen gehemmt. Das ist schon ein wichtiger erster Indikator für die Entste- hung einer Thrombose.“ Ohnehin ist der Druck in den Tumo- ren sehr hoch. Auch dadurch verlangsamt sich der Blutfluss. 2 2018 Esslinger Gesundheitsmagazin 7 >>> Professor Dr. Matthias Leschke Professor Dr. Michael Geißler Dr. Helmut Kachler Dr. Miriam Vollmer

RkJQdWJsaXNoZXIy MTU2Njg=