Ausgabe 2 >2019

2 2019 Esslinger Gesundheitsmagazin 35 „Schlafen Sie allein?“ will Dr. Vera Wienhausen-Wilke, Oberärztin an der Esslinger Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumo- logie, wissen. Ich wundere mich über die „indiskrete“ Frage, doch die Schlafmedizinerin erklärt: „Viele meiner Patienten sind chro- nisch müde, können sich aber nicht erklären, warum. Erst wenn der Partner oder die Partnerin auf nächtliches Schnarchen oder Atemaussetzer hinweist, offenbart sich eine Schlafstörung.“ Umfragen zufolge leiden 25 Prozent der Erwachsenen hierzulande an Schlafstörungen, bedingt durch Stress, ungesundes Verhalten oder organische Ursachen. „Schlafen mit einer Schlafstörung ist genauso unergiebig, wie eine Suppe zu essen, die nur aus Wasser besteht“, sagt Dr. Wienhausen-Wilke: „Egal wieviel man löffelt, man wird nicht satt. Egal wie lange man schläft, man wacht nicht erholt auf.“ Wie erholsam mein Schlaf ist? Ich werde es heraus- finden: Ich darf das Schlaflabor im Klinikum Esslingen testen. Im Schlaflabor werden Unregelmäßigkeiten aufgespürt Wer hier eincheckt, schläft eine Nacht unter schärfster Beobachtung. „Wir erfassen Hirn- und Muskelaktivitäten, die Atmung über Mund und Nase, den Sauerstoffgehalt im Blut, die Herzfrequenz, Augenbewegungen, Schnarch- geräusche, sowie Beinbewegungen und Körperlage“, fasst Dr. Wienhausen-Wilke zusammen. Das aufwendige Diag- noseverfahren lohnt, so die Schlafmedizinerin: „Chronischer Schlafmangel mindert nicht nur Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnisleistung, sondern erhöht auch das Risiko für Herz- Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Demenz.“ Vor meiner Nacht im Labor geht Dr. Wienhausen-Wilke einen aus- führlichen Fragebogen mit mir durch. Wann ich gewöhnlich zu Bett gehe, ob ich rauche, Bluthochdruck habe oder Medikamente nehme, möchte sie unter anderem wissen, denn: „Die Anamnese ist für die Diagnose ebenso wichtig wie die Messergebnisse.“ Volkskrankheit Schlafapnoe Eine der häufigsten schlafassoziierten Erkrankungen ist die obstruktive Schlafapnoe, bei der nachts die Muskulatur im Schlund erschlafft. Dr. Wienhausen-Wilke erklärt: „Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe haben nachts vermehrt Atempausen, die die Schlafstruktur und vor allem die wichtigen erholsamen Phasen beeinträchtigen. Obwohl man diese Aussetzer nicht bewusst wahrnimmt, setzen sie den Körper unter enormen Stress. Das System reagiert so, als würde einem der Kopf unter Wasser gedrückt: Die Sauerstoffsättigung fällt, Blutdruck und Zucker- spiegel steigen, das Herz spielt verrückt.“ Diesen Patienten ver- schreibt Dr. Wienhausen-Wilke eine spezielle Atemmaske, die durch Überdruck dafür sorgt, dass die Atemwege im Schlaf geöff- net bleiben. Ich darf die Maske kurz ausprobieren – ein seltsames Gefühl. „Gewöhnungssache“, beruhigt Dr. Wienhausen-Wilke. Ganz überzeugt, dass es sich lohnt, die Maske zu tragen, bin ich aber erst, nachdem die Ärztin mir erklärt, was gesunder Schlaf alles kann: „Wir durchlaufen mehrmals pro Nacht verschiedene Schlafphasen. Jede Phase erfüllt eine Funktion: Die REM-Phase ist durch schnelle Augenbewegungen und intensives Träumen gekennzeichnet. Ein Zeichen dafür, dass unser Gehirn die Infor- mationen des Tages verarbeitet und neue Synapsen knüpft – wir lernen also tatsächlich im Schlaf. In der Tiefschlafphase sind wir völlig entspannt. Jetzt schüttet der Körper vermehrt Wachstums- hormone aus und repariert kaputtes Zellgewebe – mitunter sogar von Krebs befallene Zellen.“ Wie schläft es sich unter Beobachtung? Am Tag der Untersuchung treffe ich um acht Uhr abends im Klinikum Esslingen ein, packe Zahnbürste, Handtuch und Schlaf- anzug aus und nehme mein Nachtquartier in Augenschein. Vier Betten, verteilt auf zwei Zimmer, stehen dem Schlaflabor zur Verfügung. Schalldichte Trennwände sorgen für Privatsphäre, es gibt ein Badezimmer mit Toilette und Dusche. „Haben Sie ein eigenes Kissen dabei? “, fragt Schlaflabor-Mitarbeiterin Lisa Weißmüller. Alles hier soll für eine entspannte Schlafatmosphäre sorgen. Fast wie im Hotel. Fast. Denn jetzt macht Lisa Weißmüller sich an die Arbeit. Eine halbe Stunde später kleben an meinem Hals ein Mikro, am Finger ein Sensor, in der Nase zwei Röhrchen und rund um den Kopf Elektroden. Wofür der Sensor am Bein wohl ist? „Damit wird RLS, das Restless-Leg-Syndrom, aufgespürt“, sagt Lisa Weißmüller und erklärt: „Als RLS bezeichnet man ein starkes Kribbeln und Zucken in den Beinen, das einen auch nachts nicht zur Ruhe kommen lässt.“ Um den Bauch trage ich einen Gurt. Dort hängt die Schaltzentrale, an der alle Kabel zusammenlaufen. Alles, was die Sensoren aufzeichnen, wird auf einen Computer im Neben- raum übertragen. Dort sitzen zwei Mitarbeiterinnen, die meine Vitalfunktionen überwachen und mich per Videokamera beob- achten. „Sie dürfen umhergehen und sich normal bewegen“, sagt Lisa Weißmüller. „Und keine Sorge, sollte sich im Schlaf ein Sensor lösen, befestigen meine Kolleginnen ihn einfach neu.“ Sorge macht mir eher, ob ich so vollverkabelt überhaupt ein >>> Dr. Vera Wienhausen-Wilke 25 Prozent der Erwachsenen hierzulande leiden an Schlaf­ störungen, bedingt durch Stress, ungesundes Verhalten oder organische Ursachen.

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