Ausgabe 2 >2020

12 Esslinger Gesundheitsmagazin 2 | 2020 Wie reagiert ein Intensivmediziner, wenn er Patienten retten soll, deren Krankheit in keinem Lehrbuch steht? „Sachlich und sortiert“, antwortet PD Dr. Dr. Alexander Koch. Der Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin erinnert sich: „Es gab zu Beginn der Corona-Pandemie so gut wie keine Forschungsergebnisse. Ich musste also auf anderem Weg so schnell wie möglich an Informationen kommen. Über fachspezifische Online-Zeitschriften, aber auch WhatsApp und Social Media stand ich im regen Austausch mit Kollegen aus anderen Krankenhäusern im In- und Ausland und habe das Internet täglich nach den aktuellsten Veröffentlichungen sowie statistischen Fallzahlen durchforstet.“ Es reiche aber nicht, Information über mögliche Behandlungs- wege einfach nur zu sammeln. Man müsse diese auch richtig einordnen, betont Dr. Koch: „Viele Studien entstanden unter extremem Zeitdruck, so dass die Qualität der Daten mitunter fraglich war. Nach 20 Jahren Intensivmedizin bekommt man ein Gespür dafür, was einen überzeugenden Therapieansatz ausmacht. Die meisten der neuen Therapieregime haben uns nicht so überzeugt, dass wir sie eingesetzt hätten. Für die ein oder andere Substanz hat sich das als richtig herausgestellt: Inzwischen weiß man zum Beispiel, dass das Malariamittel Chloroquin mehr schadet als nutzt. Bevor wir vorschnell expe- rimentieren und womöglich jemandem schaden, konzentrieren wir uns lieber auf das, was wir gut können: Die Beatmungs- medizin.“ Experten für Beatmungsmedizin 24 Beatmungsplätze für erwachsene Patienten stehen auf den Intensivstationen am Klinikum Esslingen zur Verfügung, davon können 14 exklusiv und zeitnah für Covid-19-Patienten ver­ wendet werden, weitere Möglichkeiten zur Beatmung können im Eskalationsfall im OP-Bereich geschaffen werden. Zu Eng- pässen kam es während der ersten Corona-Welle zu keiner Zeit. Momentan, Mitte August, gibt es in Esslingen keine beatmungs- pflichtigen Corona-Patienten mehr. Doch was, wenn eine zweite Welle anrollt und mehr Beatmungsgeräte benötigt werden? „Im Notfall könnten wir die Kapazitäten sehr schnell aufstocken“, In der Corona-Krise kämpfen Chefarzt PD Dr. Dr. Alexander Koch und sein Team an vorderster Front: Auf der Intensiv­ station des Klinikum Esslingen versorgen sie Covid-19-Patienten mit schwersten Krankheitsverläufen. Intensiv versichert Dr. Koch. Er betont aber auch: „Beatmungsgeräte alleine nutzen niemandem. Intensivpatienten müssen rund um die Uhr betreut werden. Dazu braucht es qualifizierte Ärzte und Pflegekräfte. Wenn die Fallzahlen in Deutschland stark ansteigen, könnte das zum Nadelöhr werden.“ Dabei handelt es sich aber nicht um ein Esslinger Problem: Deutschlandweit sind gut ausgebildete Pflegekräfte derzeit eine knappe Res- source. „Umso dankbarer bin ich, dass wir ein so engagiertes und mutiges Team haben. Alle hier haben in den letzten Mona- ten großen Einsatz gezeigt“, lobt Dr. Koch. Bis Mitte August wurden im Klinikum Esslingen 21 Covid-19- Patienten auf der Intensivstation behandelt. Bei 17 von ihnen löste das Virus eine so schwere Lungenentzündung (Pneu­ monie) aus, dass sie beatmet werden mussten. „Auffällig war der außergewöhnliche Schweregrad und die Dauer der Therapiebedürftigkeit. Im Vergleich zu anderen Pneumonie- Patienten mussten wir die Covid-19-Patienten ungefähr doppelt bis dreifach so lang beatmen“, berichtet Dr. Koch. „Inzwischen versteht man zunehmend, was dahintersteckt: Jede Entzündungsreaktion im Körper hat Einfluss auf das Gerinnungssystem. Bei einer Covid-19-Pneumonie treten diesbezüglich ungewöhnlich starke Effekte auf, so dass es auf allen Ebenen, von der Mikrozirkulation bis zu größeren Lungenarterien, zu Verstopfungen der Blutgefäße kommen kann. Diese Verstopfungen behindern zusätzlich zur Lungen- entzündung die Sauerstoffversorgung der lebenswichtigen Organe.“ Als Reaktion hat man den beatmungspflichtigen Covid-19-Patienten auf der Esslinger Intensivstation, wie anderorts auch, hohe Dosen an blutverdünnenden Medika- menten verabreicht. ECMO: Künstliche Lunge als letzte Rettung Trotz exzellenter intensivmedizinischer Betreuung: Bisherige Daten sprechen leider dafür, dass beatmungspflichtige Covid- 19-Patienten ein hohes Risiko haben, an ihrer Krankheit zu sterben. Viele leiden auch dann noch unter massiver Sauer- stoffunterversorgung, wenn sie mit maximal möglichem Druck beatmet werden.

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