Ausgabe 2 >2020
2 | 2020 Esslinger Gesundheitsmagazin 29 an der Grenze zu den Kammern eine gewisse Schutzfunktion und schirmt die lebenswichtigen Kammern vor zu hohen Frequenzen der chaotischen Vorhöfe ab. Während des Vorhof- flimmerns stehen die Vorhöfe mechanisch still und leisten keinen Beitrag zur Pumpkraft des Herzens. Die Herzkammern wiederum werden unregelmäßig und häufig zu schnell aktiviert, das Herz „rast“ oder „stolpert“. Ablationstherapie: Störsignale ausschalten „Bei der Ablationstherapie legen wir die Regionen elektrisch still, in denen die störenden Impulse entstehen“, erklärt Dr. Marschang. Um abzuklären, welche Regionen das beim individuellen Pati- enten sind, führt er im Herzkatheterlabor des Klinikum Esslingen eine sogenannte elektrophysiologische Untersuchung (EPU) durch. Dabei misst er die elektrische Aktivität direkt im Herzen – quasi ein EKG von innen. Bei dem Eingriff, der unter Schlaf- narkose stattfindet, werden von den Leistenbeugen aus spezielle Elektrokatheter durch die Blutgefäße bis in das Herz vorgescho- ben und an definierten Punkten positioniert. Ist die Quelle der Rhythmusstörung abgeklärt, wird die Abla tionstherapie durchgeführt – ebenfalls per Katheter. Beim häufigen Vorhofflimmern sind primär die einmündenden Lungen venen das Ziel der Ablationstherapie. Mit einer speziellen, circa 3,5 bis 4 Millimeter dicken Katheterspitze, wird Punkt für Punkt durch Stromabgabe quasi ein elektrisches Isolationsband um die Lungenvenen gelegt und das elektrische Störfeuer damit unter- bunden. „Wir setzen dazu entweder Hitze in Form von Hochfre- quenzstrom oder Kälte, die sogenannte Kryotechnik, ein“, sagt Dr. Marschang. Das Narbengewebe, das durch die Verödung entsteht, verhindert die Weiterleitung der Störsignale auf die Vorhöfe. „Ziel ist es, dass der Herzmuskel des Vorhofes nur noch die Impulse erhält, die für einen normalen Herzschlag nötig sind. Die Balance ist dabei sehr wichtig: Der behandelnde Arzt muss eine ausreichend große Fläche veröden, darf aber nicht übers Ziel hinausschießen.“ Eine Millimeterarbeit, die eine lange Aus- bildung und enormes handwerkliches Geschick voraussetzt. Am Klinikum Esslingen wird die Katheter-Ablation von zwei erfah- renen Elektrophysiologen durchgeführt, Dr. Marschang Um der Bildung von Blutgerinnseln vorzubeugen, nehmen Pati- enten mit Vorhofflimmern häufig gerinnungshemmende Medika- mente ein. Diese „Blutverdünner“ wirken aber nicht nur im Herz, sondern betreffen den ganzen Körper: Blutungen lassen sich schwerer stoppen, Wunden heilen langsamer. „Ob und wie lange Gerinnungshemmer bei einzelnen Patienten erforderlich sind, muss individuell in Abhängigkeit von Alter und anderen Risiko- faktoren entschieden werden“, gibt Dr. Marschang zu bedenken. Um das Vorhofflimmern zu beseitigen, bestehen im Wesentli- chen drei Möglichkeiten: Zum einen kann man den normalen Sinus-Rhythmus des Herzens mit Medikamenten aufrechter- halten. Die Wirksamkeit dieser Medikamente, der sogenannten Antiarrhythmika, ist allerdings begrenzt, Nebenwirkungen tre- ten häufig auf. Bei anhaltendem Vorhofflimmern kommt auch die häufig praktizierte, da einfache, Elektrokardioversion in Betracht – allerdings ohne echte Langzeitwirkung. Zur Lang- zeitstabilisierung des Rhythmus empfiehlt Dr. Marschang die Ablation oder Verödungsbehandlung, die einen Herzkatheter- eingriff erforderlich macht. Unser Herz schlägt „unter Strom“ Um zu verstehen, wie eine Ablationstherapie funktioniert, muss man zuerst wissen, wie ein Herzschlag zustande kommt: Rund 100.000 Mal am Tag schlägt unser Herz. Dabei spannen sich die Vorhof- und Kammermuskulatur an und erschlaffen wieder. Diese Bewegung wird durch elektrische Impulse gesteuert. Der Sinusknoten, der am Dach des rechten Vorhofs sitzt, erzeugt in regelmäßigem Takt den elektrischen Impuls, der sich in Bruch- teilen von Sekunden über die Muskulatur von Vorhöfen und Kammern ausbreitet. Über „elektro-mechanische“ Kopplung auf Zellebene löst der Impuls die Kontraktion der Vorhöfe und – mit geringer zeitlicher Verzögerung – auch der Kammern aus. Im Gegensatz zur normalen Herzerregung besteht beim Vorhof- flimmern elektrisches Chaos. Ausgelöst durch elektrisches Stör- feuer – häufig aus den Lungenvenen – und begünstigt durch elektrisch instabile, kranke Muskulatur bricht die normale elek- trische Erregung vollständig zusammen und wird durch hoch- frequente, chaotische Aktivität ersetzt. In dieser Situation über- nimmt der sogenannte „AV-Knoten“ als elektrische Filterstation Dr. Harald Marschang Dr. Mohamed Karim Sheta „Vorhofflimmern kann dazu führen, dass sich Blutgerinnsel im Herzen bilden. Die Patienten tragen daher ein bis zu fünffach erhöhtes Schlaganfallrisiko.“ >>> Professor Dr. Matthias Leschke
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