Ausgabe 2 >2020
Wer keine Gruppenaktivitäten mag, aber trotzdem nicht alleine sein möchte, den kontaktieren die Betreuungsassis- tenten persönlich: „Manche möchten miteinander in der Bibel lesen, einkaufen gehen, andere einfach über ihr Leben reden“, berichtet Franziska Gangl. Sie betont: „Wir wollen aber niemanden zwanghaft bespa- ßen, sondern richten uns nach den individuellen Kontakt- bedürfnissen der Bewohner. Jeder kann sich auch jederzeit in sein Zimmer zurückziehen, wenn ihm danach ist.“ Doch was ist mit den Bewohnern, die ans Bett gebunden sind und ihr Zimmer nicht verlassen können? „Auch Men- schen mit starken Einschränkungen kann man einbeziehen. Zum Beispiel, indem man das Bett aus dem Zimmer schiebt. Oder Dinge ans Bett bringt, die Abwechslung und Gesprächs- stoff bieten: Eine Kiste mit Strandgut, ein Gesangsbuch. Wir schauen, welche Ressourcen da sind und machen darauf basierend ein Angebot.“ Sport, Kunst und Kultur Wohnbereichsübergreifend gibt es ebenfalls viele Angebote, bei denen die Heimbewohner zusammenkommen. Der Sozial- dienst organisiert Sturzprophylaxe-Kurse, Gedächtnistraining oder Sitztanz. Sehr beliebt ist das Kegeln oder das gemein- same Volkslieder-Singen. Außerdem werden Ausflüge ange- boten und einmal im Jahr organisieren die Heime sogar einen fünftägigen Urlaub vom Pflegeheim. „Normalerweise“, merkt Franziska Gangl an. „Normalerweise veranstalten wir auch Konzerte für alle Heimbewohner und feiern saisonale Feste: Weihnachtsfeiern, Maifeste, Grillabende. Wegen der Corona- Schutzmaßnahmen können viele Aktivitäten derzeit aber noch nicht wieder oder nur eingeschränkt stattfinden.“ Corona: Gemeinschaft trotz Schutzmaßnahmen Wie deutschlandweit in allen Heimen gab es auch in Esslin- gen während der ersten Corona-Welle im Frühjahr ein mehr- wöchiges Besuchsverbot. Die Cafés wurden geschlossen, der Betrieb der Tagespflege eingestellt, Friseure, Fußpfleger, Physiotherapeuten und andere Dienstleister hatten keinen Zutritt mehr. Auch zahlreiche liebgewonnene Kooperations- partner wie Schulen und Kindergärten und die über 190 ehrenamtlichen Helfer und fünf Fördervereine, die sonst das Sozialleben in den Heimen bereichern, mussten während des „Lockdowns“ fernbleiben. „Wir haben offene, lebendige Heime geschaffen, Quartiers- häuser mit pulsierendem Leben und mussten auf einmal schmerzlich erfahren, was Abschottung bedeutet“, erinnert sich Thilo Naujoks, Geschäftsführer der Städtischen Pflege- heime Esslingen. Der Schritt in die Isolation war trotzdem richtig, so Naujoks: „Unsere Bewohner gehören zu den Men- schen, bei denen eine Infektion mit dem Corona-Virus besonders schwere Verläufe auslösen kann. Für sie stellt das Virus eine tödliche Gefahr dar. Der Schutz der Menschen hat daher oberste Priorität.“ Trotz Isolation wollte man in den Städtischen Pflegeheimen vermeiden, dass die Einsamkeit die Überhand gewinnt. In der Krise zeigten sich die Mitarbeiter erfinderisch: „Am härtes- ten traf die Bewohner, dass sie ihre Angehörigen nicht sehen durften. Wir haben deswegen Tablets angeschafft und eine Skype-Sprechstunde eingerichtet. Die Bewohner konnten Videotelefonate mit ihren Angehörigen führen. Gerade für Demenzkranke war es wichtig, nicht nur die Stimmen zu hören, sondern auch die Gesichter der Angehörigen zu sehen“, berichtet Franziska Gangl. Auch wenn keine größeren Zusammenkünfte stattfinden durften, veranstalteten die Betreuungsassistenten auf den Wohnbereichen im kleinen Kreis so allerlei: Beautynachmit- tage oder eine Olympiade mit Dosenwerfen und Kegeln. Auch Gymnastikkurse fanden weiterhin statt – allerdings nicht mehr für alle Heimbewohner, sondern für jeden Wohn- bereich extra, unter Einhaltung der Distanzregeln. Außerdem entdeckte man das „Fensterln“: Draußen in den Gärten der Heime spielten Musiker auf, die Bewohner schauten aus sicherer Distanz vom Fenster aus zu. „Ganz ersetzen kann man das Wegbrechen der normalen Sozialkontakte natürlich nicht“, sagt Gangl. Ihr Eindruck der Corona-Lockdown-Gemütslage im Heim: „Die Bewohner sind mit der schwierigen Situation ganz unterschiedlich umgegangen. Manche nahmen es gelassen. Für andere war es hart. Generell war die Stimmung deutlich besser, als oft von außen angenommen wurde.“ Inzwischen ist ein Stück Normalität zurückgekehrt. Besucher dürfen wieder ins Heim kommen und einige Veranstaltungen finden – unter Einhaltung der Corona-Sicherheitsvorschriften und teils im kleineren Rahmen – wieder statt. Sollte die Pan- demie einen erneuten Lockdown erforderlich machen, ist sich Gangl gewiss: „Wir wissen inzwischen, wie wir die Dinge orga- nisieren können, um den Bewohnern trotzdem ein gewisses Maß an sozialen Aktivitäten zu ermöglichen.“ lj >>> 40 Esslinger Gesundheitsmagazin 2 | 2020 Leben im Heim gestalten: Franziska Gangl im Austausch mit Hans-Werner Schott, Vorsitzender des Heimbeirats.
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