Ausgabe 1 >2022

1 | 2022 Esslinger Gesundheitsmagazin 25 Dr. Simon Novak Birgit Bertram erlebt immer wieder, wie Kinder mit Behinderung aufblühen, wenn sie mit den passenden Hilfsmitteln optimal unterstützt werden. Die Physiotherapeutin ist eine von dreizehn Mitarbeitern am Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) am Klinikum Esslingen. Im Rahmen der Hilfsmittelsprechstunde versorgt Bertram junge Patienten mit körperlichen Einschränkungen mit individuell abgestimmten Utensilien, die sie im Alltag unterstützen. Dazu gehören Handschienen, Korsette, Einlagen für die Schuhe, aber auch Therapiefahrräder, spezielle Autositze, Pflegebetten oder Laufgeräte. Eine wichtige Rolle spielen außerdem Kommunikationsgeräte. „Sie unterstützen die motorische Entwicklung, aber auch Interaktion, Kommunikation und kognitive Entwicklung“, erklärt Dr. Simon Novak, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und leitender Arzt des SPZ. „Es wird oft unterschätzt, welch einen Unterschied das macht.“ Talker, Taster, Tablets Kindern, die Schwierigkeiten haben sich auszudrücken, kann beispielsweise ein sogenannter Taster helfen, mit dem man „Ja“ oder „Nein“ anwählen kann. „Es gibt auch Taster, auf die man drücken kann, damit etwas passiert, zum Beispiel, damit das Radio angeht“, erklärt Bertram. „Das hilft den Kindern, das Ursache-WirkungsPrinzip zu verstehen.“ Sogenannte Talker können besprochen werden. Wenn das Kind auf eine bestimmte Taste drückt, wird das Gesprochene abgespielt – „wichtig beim Austausch mit Schule und Kindergarten“, so Bertram. Auch eine Art Tablet, auf dem Symbole zum Anwählen hinterlegt sind, hilft bei der Kommunikation. Mithilfe entsprechender Symbole kann das Kind beispielsweise mitteilen, was es gerne essen möchte. „Diese Hilfsmittel sind vor allem für die Teilhabe des Kindes wichtig“, erklär t das einzelne Kind sehen, welche Defizite es hat und welche Ressourcen – und was wir an Entwicklung erwarten können.“ Außerdem müsse berücksichtigt werden, welche Ressourcen in der Familie oder in der Einrichtung vorhanden sind, was die Familie oder Einr ichtung überhaupt leisten kann, ob sie in der Lage ist, das jeweilige Hilfsmittel sinnvoll einzusetzen. Die Offenheit der Eltern sei ein wichtiger Faktor beim Finden der passenden Hilfsmittel für das Kind, so Dr. Hayd. Birgit Bertram bestätigt: „Die Eltern können ja gar nicht abschließend wissen, welche unterschiedlichen Hilfsmittel es für das Krankheitsbild ihres Kindes überhaupt gibt.“ Beispielsweise tue vielen Kindern mit Autismus ein Bett mit hohem Gitter gut, in dem sie sich auch tagsüber zurückziehen können, wenn sie das Bedürfnis danach haben – sehr zur Überraschung vieler Eltern. Im persönlichen Gespräch werde über die Probleme gesprochen, die sich aus den Entwicklungsauffälligkeiten des Kindes ergeben, damit die individuell passenden Hilfsmittel gefunden werden können. Passgerecht und individuell „In der Regel kommen die Kinder bei ihrem ersten Besuch in die ärztlich- therapeutische Sprechstunde ins SPZ“, sagt Dr. Novak. „Da besprechen wir den Entwicklungsstand und den Bedarf des Kindes.“ Anschließend kommt das Kind zu einem separaten Termin in die Hilfsmittelsprechstunde, bei dem das umgesetzt wird, was zuvor besprochen wurde. „Es hat sich viel getan in den letzten Jahren – Hilfsmittel sind heute viel passgerechter. Auch das Design wird berücksichtigt, was für Kinder und auch die Familie oft sehr wichtig ist“, sagt Bertram. Beispielsweise gebe es Schuheinlagen in verschiedenen Farben, oder mit Fußball- oder Blumenaufdrucken. Dr. Novak. „Wenn Kinder, die alles versuchen um sich auszudrücken, mit ihrer Sprache nicht in der Lage dazu sind, dann kann es sein, dass sie sehr unruhig werden, nur schreien und höchst unzufrieden sind.“ Bekommen diese Kinder mit einem entsprechenden Hilfsmittel die Möglichkeit, sich zu artikulieren, werden sie viel zufriedener. Die gesamte motorische Entwicklung werde unterstützt, so Dr. Novak. Körper und Psyche gehen hier Hand in Hand. „Gerade Kinder mit starken körperlichen Beeinträchtigungen und hochgradig spastischen Lähmungen, die aber kognitiv fit sind und in der Hinsicht ihrer Altersgruppe entsprechen, werden auf Grund von Äußerlichkeiten oft stark unterschätzt“, sagt Novak. „Wenn sie die Möglichkeit bekommen, auf ihrem kognitiven Niveau zu interagieren, dann blühen sie auf.“ Teamwork für kreative Lösungen Der Esslinger niedergelassene Kinder- und Jugendarzt Dr. Christian Hayd arbeitet eng mit dem SPZ-Team um Dr. Novak zusammen. „Gerade bei komplexen Fällen verweise ich in der Regel an die Hilfsmittelsprechstunde“, sagt Dr. Hayd. „Da steckt viel Erfahrung dahinter und das Team kann gut einschätzen, welche Hilfsmittel sinnvoll sind.“ Oft seien unkonventionelle Lösungen für die individuellen Anforderungen gefragt, so Dr. Hayd. „Auch die betreuenden Einrichtungen, Pflegedienste und die Sonderschule des Esslinger Rohräckerschulzentrums sind oft sehr kreativ, denn sie begleiten ja den Lebensalltag der Kinder.“ Je enger der Austausch und die Zusammenarbeit von Eltern, Betreuern, Therapeuten und Ärzten, desto besser für das Kind. „Genauso wie es keine ‚Standard-Behinderung‘ gibt, ist auch eine Entscheidung für oder gegen ein Hilfsmittel nie Standard“, sagt Dr. Hayd. „Man muss immer Birgit Bertram Dr. Christian Hayd >>> „ Kinder wollen nicht nur gefördert, sondern auch herausgefordert werden, damit sie sich optimal entwickeln.”

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