Ausgabe 1 >2022

1 | 2022 Esslinger Gesundheitsmagazin 37 Problem: Trennung von Schule und Freizeit Natürlich ist es ungesund, dass die Kinder für den Schulunterricht viele Stunden am Tag vor Bildschirmen verbringen mussten: „Die Grenzen zwischen Hausaufgaben, Snapchat, Instagram und WhatsApp sind fließend. Viele vernachlässigen Schlaf, Bewegung und eine vernünftige Ernährung. Es kommt zu Vitamin-D-Mangel und es schädigt die Augen, wenn man zu lange im dunklen Zimmer sitzt“, stellt Dr. Nolting fest. „So kann sich eine Computerspielsucht entwickeln. Aber nicht jeder ist gleich süchtig“, beschwichtigt er. „Auch die soziale Ungleichheit verschärft sich: Wer ein Haus mit Garten hat, hat ganz andere Möglichkeiten als zum Beispiel eine fünfköpfige Familie in einer Sozialwohnung ohne Balkon. Besonders schwer haben es Alleinerziehende, die kaum mehr Zeit für sich haben.“ Was Eltern tun können „Nutzen Sie Ihre Familie als Kraftquelle, als Ressource, um die Belastung der psychischen Gesundheit ihrer Kinder so klein wie möglich zu halten“, rät Dr. Nolting. „Versuchen Sie, einen Ausgleich zu schaffen für fehlende Entwicklungsräume wie Kinderturnen oder Chor, für die verminderten Sozialkontakte und das ausgefallene gemeinsame Lernen.“ Es geht darum, die Vorteile des mobilen Arbeitens zu sehen: mehr für die Kinder da sein zu können in kurzen, verabredeten Pausen oder die Zeit, die man zuvor auf dem Arbeitsweg im Stau verloren hat, bewusst mit den Kindern zu verbringen. „Ihre Haltung kann Vieles verändern: Mehr Lob als Tadel. Kleine Erfolge feiern. Struktur geben. VerDr. Björn Nolting „ Alarmierend: 25 Prozent mehr Depressionen und Angststörungen bei Jüngeren und Frauen.” Kontakt Klinikum Esslingen Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. Björn Nolting, Chefarzt Telefon 0711 3103-3101 psychosomatik@klinikum-esslingen.de Was tun, wenn Corona, Krieg und andere Krisen die Psyche belasten › Tagesstruktur aufrecht erhalten › Bewegung und Sport › Bewusstes Wahrnehmen der Natur › Pflegen sozialer Kontakte, auch über Handy und PC › Gesunde Ernährung › Vermeiden von Alkohol › Rückbesinnung auf eigene Fähigkeiten und Ressourcen Auch der Hausarzt kann weiterhelfen und gegebenenfalls an psychosomatische Ärzte, Psychotherapeuten oder Psychiater vermitteln. nünftig ernähren und bewegen. Klar festgelegte, begrenzte und bewusste PC- und Handynutzung“, so Dr. Nolting. Bei Letzterem sei die soziale Komponente aber nicht zu vergessen. Wichtig sei, mit den Kindern darüber im Austausch zu bleiben und Vorbild zu sein: also nicht beim Abendessen selbst laufend aufs Handy zu schielen. Posttraumatische Belastungsstörungen Dr. Nolting betreut auch Patienten mit Angststörungen oder posttraumatischem Belastungssyndrom (PTBS) nach schweren Verläufen einer Corona-Infektion. Von einem PTBS spricht man, wenn die Psyche auf ein extrem belastendes oder bedrohliches Ereignis reagiert. Manche quälen zum Beispiel immer wiederkehrende Erinnerungen und Bilder. Oft gibt es bei Patienten Trigger wie Blaulicht, Martinshorn oder die Angst ins Krankenhaus zu gehen. „Die Erfahrungen der letzten Monate haben gezeigt, dass viele Patienten aus Angst vor Ansteckung nicht mehr ins Krankenhaus gehen und dadurch zum Beispiel Herzinfarkte oder Krebsbehandlungen verschleppen.“ PTBS kann nicht nur nach einer Corona-Infektion auftreten. Auch bis zu 15 Prozent aller, die eine andere schwere Erkrankung hinter sich haben, sind betroffen: Eine große Operation, Herzinfarkt, Schlaganfall oder Krebs. „Daher haben wir im Klinikum Esslingen extra einen psychosomatischen Konsiliardienst eingerichtet: Wenn die Stationen Unterstützung anfordern, führen wir noch in der Klinik Gespräche mit Patienten und leiten sie gegebenenfalls in eine Therapie über.“ Supervision und kollegiale Gespräche Menschen, die im Gesundheitswesen zum Beispiel auf Intensivstationen oder in Altersheimen arbeiten, sind durch die Pandemie stark psychisch belastet. „Stoßen Pflegekräfte und Ärzte an ihre Grenzen, bieten wir eine Supervision und kollegiale Gespräche an“, berichtet Dr. Nolting. „Ohne Akte und unter Schweigepflicht können die Kollegen zu uns kommen und über ihre Schwierigkeiten sprechen. Wir helfen mit Interventionen und Präventionsmaßnahmen weiter.“ ast

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