2 2014
Esslinger Gesundheitsmagazin 41
Helen Kurz wird schon erwartet. Noch
bevor sie den Klingelknopf betätigen kann
öffnet Adelgunde M. die Tür. Die Seniorin
begrüßt die junge Frau mit dem Arztkof
fer und bittet herein. „Früher kam der Arzt
häufiger, jetzt kommt Frau Kurz, das ist
auch sehr gut“, sagt die 81-Jährige, die
gemeinsam mit ihrem drei Jahre älteren
Ehemann im Ostfilderner Ortsteil Scharn
häuser Park lebt. Auch wenn Helen Kurz
nicht alles darf, was ein Arzt tut, bei dem
älteren Ehepaar, das erst vor kurzem sei
nen 60. Hochzeitstag feiern konnte, ist sie
gern gesehen. „Das erspart uns den doch
immer recht mühsamen Weg zum Arzt“,
sagt Walter Robert M.
Seit Januar 2013 ist Helen Kurz „Versor
gungsassistentin in der Hausarztpraxis“.
Eine 200-stündige Weiterbildung hat die
gelernte Medizinische Fachangestellte
dafür absolviert, eine Hausarbeit angefer
tigt und eine mündliche Prüfung abgelegt.
Dass sie für die Weiterbildung etliche
Wochenenden opfern musste, hat sie
noch keine Minute bereut: „Früher durfte
ich als Medizinische Fachangestellte oder
Arzthelferin, wie es davor hieß, am Pati
enten kaum etwas machen, durch die
VERAH-Ausbildung ist die Vielfalt der
Tätigkeiten viel größer geworden.“
Der Hausbesuch bei Familie M. beginnt
mit allgemeinen Fragen über das gesund
heitliche Befinden und zur Verträglichkeit
der neuen Medikamente. Danach misst
Helen Kurz bei Beiden den Blutdruck und
nimmt Blut. Die Blutkontrolle ist wichtig,
da beide Senioren regelmäßig blutverdün
nende Medikamente einnehmen müssen.
Adelgunde M. zuckt bei der Blutabnahme
nicht mit der Wimper: „Frau Kurz kann
das wirklich gut, das Blutabnehmen“,
freut sich die 81-Jährige.
Zu den Aufgaben einer VERAH gehören
neben der Blutkontrolle und der Überprü
fung der Medikamenteneinnahme auch
Dinge wie Blutzuckermessung, Verbands
wechsel, Wundversorgung und Wunddo
kumentation. Zudem hat ihre Tätigkeit
präventiven Charakter. „Wir schauen auch,
ob die Patienten zurechtkommen, vor
allem wenn sie alleine sind, ob die Woh
nung sauber ist oder ob – etwa bei sturz
gefährdeten Personen – Gefahren lauern,
wie beispielsweise rutschende Teppiche
oder Möbel-Kanten“, erklärt Helen Kurz.
In solchen Fällen gibt sie den Patienten
Hinweise, an wen sie sich für weitere Hilfe
wenden können. „Wir arbeiten dazu in
einem engen Netzwerk mit Pflege- und
sozialen Diensten zusammen.“
Sie selbst ist, wie es der Name „Versor
gungsassistentin in der Hausarztpraxis“
nahelegt, in einer Allgemeinarztpraxis
beschäftigt, der Praxis Dr. Rainer Graneis/
Dr. Regina Schüle in Ostfildern-Nellingen.
Neben ihr gibt es mit Elke Siegle eine wei
tere VERAH in der Hausarztpraxis. Der
Deutsche Hausärzteverband war es auch,
der im Jahr 2009 zusammen mit dem
MEDI-Verbund das VERAH-Modell initi
ierte, mit dem Ziel, die Hausarztpraxis als
zentralen Ort der Versorgung zu stärken,
die Berufszufriedenheit der Medizinischen
Fachangestellten zu steigern und die
Hausärztinnen und Hausärzte durch
hochqualifizierte Unterstützungsleistun
gen zu entlasten. Dr. Graneis sieht dieses
Ziel erreicht: „Von der Einführung der
VERAH-Ausbildung haben alle profitiert:
die Medizinischen Fachangestellten
haben noch mehr Fachkompetenz, die
Patienten eine bessere Versorgung und
die Ärzte eine große Entlastung.“ Auf die
VERAHs möchte er daher auch nicht mehr
verzichten: „Wir könnten in unserer Praxis
den vielen chronisch kranken und älteren
Patienten keine so intensive Betreuung
bieten, wie wir es jetzt machen können.“
Der Besuch bei den M.s dauert rund 15
Minuten. Neben Blutdruckmessung und
Blutabnahme bleibt da auch immer etwas
Zeit zum Zuhören, denn „die Patienten
haben oft den Bedarf, etwas zu erzählen“.
Auch Adelgunde M. zeigt stolz die Fotos
von der Feier zum 60. Hochzeitstag. In
solchen Momenten kommt zum medizi
nischen Auftrag der VERAH noch ein sozi
aler Aspekt hinzu. „Manche Patienten
erzählen mir Dinge, die sie demArzt sicher
nicht erzählen würden“, sagt Helen Kurz
lachend – und schweigt sich über Einzel
heiten aus. Denn auch die Rolle als Ver
trauensperson erfüllt sie gewissenhaft.
Außerhalb der Praxisräume betreuen
Helen Kurz und Elke Siegle rund 20 Pati
enten. Manche besuchen sie wöchentlich,
manche in größeren Abständen. Ihre
Besuche kündigen sie stets telefonisch an,
„so können wir dann auch kurzfristig
Überweisungen oder Rezepte mitbringen“.
In der Regel sind es ältere Patienten, die
wie die Familie M. nicht mehr gut zu Fuß
sind oder die unter chronischen Erkran
kungen wie Diabetes oder der Koronaren
Herzkrankheit leiden. „Aber auch manche
jüngeren Personen sind darunter, etwa
Patienten mit Multipler Sklerose oder mit
Gehbehinderungen.“
Bundesweit haben inzwischen rund 5.000
Medizinische Fachangestellte die Fortbil
dung zur Versorgungsassistentin in der
Hausarztpraxis absolviert. „VERAHs sind
stark im Kommen“, freut sich Helen Kurz,
die Ende September zusammen mit Elke
Siegle den 1. Deutschen VERAH-Kongress
in Bad Kissingen besuchte. Dort haben sie
mit Erfolg weitere Kurse zu den Themen
Pflegeversicherung und Patientenbera
tung belegt – und sind nun zertifiziert als
VERAH-Plus.
wb
Helen Kurz vor dem VERAH-Mobil,
mit dem sie zu ihren Hausbesu-
chen fährt. Von Adelgunde M. wird
sie schon an der Tür herzlich
begrüßt (re.)
Medizinische Fachangestellte in Haus-
arztpraxen, die sich für die Ausbildung
zur VERAH interessieren, finden weitere
Informationen im Internet unter