1 2014
Esslinger Gesundheitsmagazin 31
Es ist rund 15 Jahre her, als Dr. Gunter
Joas als junger Arzt in einen nahezu lee-
ren Neubau gegenüber dem Stuttgarter
Olgahospital zog, um dort gemeinsam
mit seinem damaligen Chefarzt praktisch
von Grund auf eine neue Kinder- und
Jugendpsychiatrie aufzubauen. „Wir
haben die damalige Klinik von 20 auf 60
Plätze erweitert, haben ganz neue, inno-
vative Strukturen geschaffen und es
geschafft, ein Team aus ganz unter-
schiedlichen Professionen zu bilden, das
gemeinsam an einem Strang zog“, sagt
der heute 49-Jährige. Seit 2006 lenkte er
als leitender Oberarzt auch die ökonomi-
schen Geschicke der Klinik. All seine
Erfahrung will Dr. Joas nun in den Ausbau
der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP)
am Klinikum Esslingen einbringen, die er
seit dem 1. April 2014 als Chefarzt leitet.
Momentan stehen in Esslingen 15 tages-
klinische Behandlungsplätze zur Verfü-
gung. Das tagesklinische Angebot wird
ergänzt durch eine Ambulanz. Nach der
Erweiterung wird es im Frühjahr 2015 zu-
nächst 24 stationäre und sechs tageskli-
nische Betten für die Kinder- und Ju-
gendpsychiatrie geben. „Damit stehen wir
erst am Anfang“, sagt Dr. Joas, „ich hof-
fe, dass wir unser Angebot in den nächs-
ten Jahren sowohl im stationären als
auch im ambulanten und tagesklinischen
Bereich deutlich ausbauen können.“ Der
erste und wichtigste Schritt dafür ist für
den neuen Chefarzt die Bildung eines
über alle Berufsgruppen hinweg gut
funktionierenden Teams. „Ich wünsche
mir eine methodenpluralistische Klinik
mit Mitarbeitern ganz unterschiedlicher
Professionen.“ Ärzte, Psychologen, The-
rapeuten, Erzieher, Sozialpädagogen und
Pflegende sollen die Kinder und Jugend-
lichen betreuen, ummöglichst ein breites
Spektrum an Behandlungsangeboten bie-
ten zu können. „Eine reine Aufteilung
nach Störungen wird es bei uns nicht ge-
ben“, so der Psychiater, „Kinder und Ju-
gendliche zeigen oft eine breite Sympto-
matik.“
Vernetzung innerhalb der Klinik
Die Gründe für psychische Erkrankungen
im Kindes- und Jugendalter seien vielfäl-
tig, so Dr. Joas. „Viele Kinder müssen
heute relativ früh funktionieren, dürfen
sich keine Schwäche erlauben, diesem
Druck hält nicht jeder stand.“ Er wünscht
sich ein Team, das erkennt, welche Res-
sourcen das Kind mitbringt, und versucht
gemeinsam an einer Lösung für den Pati-
enten zu arbeiten. Dabei sei die Vernet-
zung innerhalb der Klinik entscheidend,
dass alle Berufsgruppen an einem Strang
ziehen und sich gegenseitig Erfolge und
Misserfolge zum Patienten rückmelden,
denn nur so könne eine gute Kinderpsy-
chiatrie funktionieren. Außerdem dürfe
man Kinder und Jugendliche mit psychi-
schen Problemen nie isoliert betrachten.
„Die Kinder sind oft Indikatoren für Pro-
bleme in der Familie, deshalb müssen die
Familienmitglieder in die Behandlung mit
einbezogen werden.“
Drei Stationen
nach Alter eingeteilt
Derzeit wird die Kinderklinik um zwei Eta-
gen aufgestockt, in die im Frühjahr 2015
die KJP einziehen wird. „Wir werden drei
Stationen haben, die nicht nach Störung,
sondern nach Alter eingeteilt sind“, er-
klärt Dr. Joas. Es wird eine Kinderstation
für die 6- bis 11-Jährigen, eine Station für
die 11- bis 15-Jährigen und eine Jugend-
station für die 15- bis 18-Jährigen geben.
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist ein
Fach mit vielen Berührungspunkten zu
anderen Fächern wie der Pädiatrie, der
Psychosomatik, der Erwachsenenpsychi-
atrie und des Sozialpädiatrischen Zent-
rums. „Ich hoffe, dass die Klinik einen
guten Platz im Klinikum Esslingen findet,
und somit Synergieeffekte erzielen kann“,
sagt Dr. Joas. Hierbei sei das Klinikum
bereits sehr gut aufgestellt. Gute Vernet-
zung müsse man auch mit der Jugend-
hilfe, dem Jugendamt und den Schulen
aufbauen. „Eine lückenlose Versorgung
ist dann gegeben, wenn die Angebote von
Prävention über ambulante Angebote
und Tagesklinik bis hin zu Akutversor-
gung im stationären Bereich reichen.“
Niederschwellige Angebote in der Ambu-
lanz, die verunsicherten Eltern die Mög-
lichkeit bieten, ihr Kind untersuchen zu
lassen, sind ein wichtiger Schritt, um
Berührungsängste abzubauen. „Ich wün-
sche mir eine offene zugewandte Kinder-
und Jugendpsychiatrie, die Brücken
schafft “, sagt der neue Chefarzt.
kw
Zur Person
Dr. Gunter Joas hat in Tübingen
Medizin studiert. Seinen Facharzt in
der Erwachsenenpsychiatrie absol-
vierte er von 1994 bis 1999 in der
Psychiatrischen Klinik am Universi-
tätsklinikum Tübingen. Dort ent-
stand auch das Interesse, wie die
Störungen ihren Anfang nehmen.
1999 wechselte er an das Klinikum
Stuttgart in die Kinder- und Jugend-
psychiatrie, wo er noch den Facharzt
zum Kinder- und Jugendpsychiater
absolvierte. 2003 wurde Dr. Joas
zum Oberarzt ernannt, 2006 dann
zum leitenden Oberarzt.
Einer seiner Schwerpunkte ist die
Psychotraumatologie. So betreute
er zum Beispiel auch zwölf Schüler,
die den Amoklauf von Winnenden
2009 miterlebten. Außerdem ist er
Gutachter bei gerichtlichen Straf
verfahren.
Dr. Joas ist 49 Jahre alt, verheiratet
und hat zwei Kinder im Alter von
sieben und neun Jahren.
„Die Kinder sind oft Indikatoren
für Probleme in der Familie,
deshalb müssen die Familien
mitglieder in die Behandlung mit
einbezogen werden.“