2 2016
Esslinger Gesundheitsmagazin 33
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Doch wenn das Gefühl Angst außer Kontrolle gerät, dann
schützt es nicht, sondern schränkt ein oder zerstört im
schlimmsten Fall das ganze Leben. Denn viele Menschen leiden
unter einer Angststörung. „Eine Angststörung ist eine häufige
psychische Erkrankung. Die Angst der Patienten bezieht sich auf
unrealistische Dinge und Situationen“, erklärt Dr. Nolting. Eine
Phobie dagegen richtet sich auf etwas ganz bestimmtes, wie die
Klaustrophobie, die Angst vor engen Räumen.
Das Gefühl bei einer generalisierten Angststörung ist permanent
vorhanden und der Leidensdruck ist immens hoch. Die Betrof-
fenen nehmen nur noch die Angst wahr. „Sie haben Angst vor
der Angst“, weiß auch Dr. Gerhard Dieter Roth, niedergelassener
Neurologe und Psychiater mit Naturheilverfahren aus Ostfildern,
zu berichten. Um dem unangenehmen Gefühl aus dem Weg zu
gehen, vermeiden die Erkrankten viele Situationen. Sie gehen
nicht mehr unter Menschen, weil sie Angst haben sich zu bla-
mieren oder verlassen im schlimmsten Fall gar nicht mehr ihr
Zuhause, aus Angst, dass etwas Schreckliches passieren könnte.
Angst zu haben, ist völlig normal. Angst vor den Folgen
einer schweren körperlichen Erkrankung oder die Sorge um
das Kind, das zum ersten Mal allein in den Urlaub fährt.
Angst bewahrt uns davor, über eine vollbefahrene Straße
zu laufen oder im Zoo in den Tigerkäfig zu springen – da
kann das Tier noch so kuschelig aussehen. „Angst ist, wie
der Schmerz, ein Gefühl das uns schützt“, sagt Dr. Björn
Noltíng, Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin
und Psychotherapie am Klinikum Esslingen. Während der
Evolution hätte der Mensch ohne Angst niemals überlebt.
„Erlebt ein Kind nun,
dass die Eltern sehr
ängstlich sind und in
allem eine Gefahr
sehen, dann wirkt sich
das auf die kindliche
Entwicklung aus.“
Die Betroffenen verlieren Freunde, fühlen sich einsam und wer-
den nicht selten depressiv. „Einige greifen zu Alkohol oder Dro-
gen, um ihre Ängste zu betäuben und sich locker zu fühlen“, sagt
Dr. Nolting. Doch die Gefahr dabei in eine Alkohol- oder Dro-
genabhängigkeit zu geraten ist sehr hoch. Angststörungen
gehen stark mit körperlichen Symptomen einher. Die Betroffe-
nen haben Herzrasen, Schweißausbrüche oder hohen Blutdruck.
Oft werden die Symptome gar nicht mit einer Angststörung in
Verbindung gebracht. „Organische Ursachen wie eine Schild-
drüsenüberfunktion werden vor Beginn der Therapie deshalb
ausgeschlossen“, betont Dr. Nolting.
Doch was muss passieren, dass jemand von der Angst so sehr
kontrolliert wird, dass er nicht mehr Bus fahren kann oder sich
nicht in den Supermarkt zum Einkaufen traut. „Wir sprechen
von multifaktoriellen Ursachen“, sagt Dr. Nolting, Facharzt für
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Psychoana-
lytiker. Das Modell setzt sich aus drei Bereichen zusammen.
Zunächst die biologischen Ursachen. Es gibt Menschen, die
haben eine genetische Disposition, also ein höheres Risiko an
einer psychischen Störung zu erkranken. Auch die Hormonzu-
sammensetzung spielt eine Rolle und ist eine mögliche Erklä-
rung, warum deutlich mehr Frauen unter Angststörungen leiden.
„Frauen gehen aber auch offener mit ihren Ängsten um und
suchen sich Hilfe. Bei vielen Männern ist das nicht der Fall und
sie werden daher nicht therapiert“, sagt Dr. Nolting. Auch Dr.
Roth betreut in seiner Praxis mehr Frauen.
Für viele seiner Patienten – seien es Frauen oder Männer – ist
es normal geworden, unter der Angst zu leiden. „Die Patienten
denken: ich bin halt so. Daher glauben sie, dass ihnen nicht
geholfen werden kann“, sagt Dr. Roth. Oft bedarf es eines Ansto-
ßes von Familie, Freunden oder des Hausarztes, die dazu führen,
dass die Betroffenen sich Hilfe suchen.
Viele Menschen, die unter einer Angststörung leiden, haben
in ihrer Kindheit keine Verlässlichkeit erfahren und konnten
keine Bindung zu Eltern oder Großeltern aufbauen. „Sie wur-
den nicht getröstet, nicht in den Arm genommen




