34 Esslinger Gesundheitsmagazin
2 2016
und hab en n i c h t d i e
Sicherheit erfahren, dass
jemand für sie da ist“,
erklärt Dr. Nolting. Wenn
die äußere Sicherheit
fehlt, lernt der Mensch
nur schwer Mechanismen,
um sich selbst zu beruhi-
gen und zu regulieren.
„Dann macht alles Angst“, sagt Dr. Nolting. Aber auch ein
Trauma, welches durch einen Unfall oder sexuelle oder kör-
perliche Gewalt ausgelöst wurde, kann eine Angststörung zur
Folge haben.
Angst ist ein erlerntes Gefühl
Neben diesen psychologischen Ursachen kommen auch noch
die sozialen Gegebenheiten hinzu. „Wir fragen die Patienten, ob
ihre Eltern sehr ängstlich waren“, erklärt Dr. Nolting. Denn Angst
ist ein Gefühl, dass durch Lernvorgänge verstärkt wird – ähnlich
wie Schmerz. Wer einmal die Hand auf die heiße Herdplatte
gelegt hat, wird das nie wieder tun. Erlebt ein Kind nun, dass die
Eltern sehr ängstlich sind und in allem eine Gefahr sehen, dann
wirkt sich das auf die kindliche Entwicklung aus. Eine Sozial-
phobie kann entstehen, wenn das Kind in der Schule ausgelacht
wurde. „Dieses Gefühl der Scham kann sich zur Angst entwi-
ckeln, vor anderen zu sprechen“, sagt Dr. Nolting.
Zu Beginn der Therapie muss auch geklärt werden, ob es soge-
nannte aufrechterhaltene Faktoren gibt. „Kümmern sich zum
Beispiel Angehörige um den Einkauf, sodass der Betroffene gar
nicht vor die Tür gehen muss?“, sagt Dr. Nolting. Die Patienten
müssen erlerntes Verhalten, also die Angst, wieder verlernen,
ergänzt Dr. Roth. Auch Entspannungstechniken helfen, mit der
eigenen Angst umzugehen.
Meist kommen mehrere Dinge zusammen, die alle identifiziert
werden müssen, um den Patienten erfolgreich therapieren zu
können. Das geschieht zunächst ambulant in den Praxen der
niedergelassenen Ärzte. Am Anfang werden die Patienten zwei-
mal in der Woche therapiert, wenn sich eine Verbesserung ein-
stellt einmal wöchentlich. „Die Krankenkassen zahlen bis zu 45
Stunden ambulante Therapie“, betont Dr. Roth. Sollte der Psy-
chiater aber feststellen, dass sein Patient aufgrund der Angst
den Alltag nicht mehr bewältigen kann, überweist er ihn in die
stationäre Therapie. „Der Betroffene muss entlastet und eng-
maschig betreut werden“, sagt er. Nach dem Ende der stationä-
ren Therapie übernimmt dann wieder Dr. Roth die Betreuung
und hilft bei der Eingliederung in den Alltag.
Breit angelegte Therapie
33 Patienten in separaten Abteilungen für erwachsene und für
jugendliche Patienten können in der Klinik für Psychosomatische
Medizin und Psychotherapie am Klinikum Esslingen stationär
aufgenommen werden und bleiben zwei bis drei Monate dort.
Darüber hinaus stehen 30 tagesklinische Behandlungsplätze zur
Verfügung. Gemeinsam leben die Patienten in einer therapeu-
tischen Gemeinschaft und übernehmen Aufgeben und Verant-
wortung. So vielfältig die Ursachen sind, so breit ist auch die
Therapie angelegt. Neben der Einzel- und Gruppentherapie wer-
den die Patienten bei sogenannten Expositionen mit ihren Ängs-
ten konfrontiert. „Sie stellen sich ihren Ängsten und werden
dabei von Ärzten und Pflegern begleitet“, sagt Dr. Nolting. Das
geht Schritt für Schritt. Wer
Angst vor dem Busfahren hat,
geht erstmal nur bis zur Bus-
haltestelle. Beim nächsten Mal
steigt der Betroffene in den
Bus ein, fährt aber nur eine
Haltestelle. So steigert er sich
langsam und wird durch kleine
Erfolgserlebnisse motiviert.
„Wir lassen den Patienten
nicht allein und er lernt dadurch, dass er sich auf andere verlas-
sen kann“, erklärt Dr. Nolting. Das stärkt das Selbstbewusstsein
und die Betroffenen erkennen, dass sie sich auf sich selbst ver-
lassen können. Medikamente, wie Benzodiazepin, die angstlö-
send sind, werden nur in Ausnahmefällen eingesetzt.
Mit einer Psychotherapie ist es sehr gut möglich, symptom-
frei zu werden, betont Dr. Nolting. Voraussetzung ist die
Bereitschaft, sich behandeln zu lassen. Denn vielen Menschen
ist immer noch peinlich, sich in eine psychotherapeutische
Behandlung zu begeben. „Die Angst vor einem vermeintlichen
Makel ist immer noch groß“, sagt Dr. Nolting, „auch wenn
durch intensive
Aufklärung in den
letzten Jahren eine
größere Akzeptanz
gegenüber psychi-
schen Erkrankun-
gen erreicht wer-
den konnte.“
aw
„Mit einer Psychotherapie
ist es sehr gut möglich,
symptomfrei zu werden.“
Gewusst?
Die Amygdala
Die Amygdala, der Mandelkernkomplex,
ist der Sitz der Angst im Gehirn. Sie ist Teil des
limbischen Systems und verantwortlich für
die Bewertung und Wiedererkennung von
Situationen. Sie analysiert mögliche Gefahren
und daraus entstehende Emotionen – wie die
Angst vor einem bestimmten Ereignis.
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Klinikum Esslingen
Klinik für Psychosomatische
Medizin und Psychotherapie
Chefarzt Dr. Björn Nolting
Telefon 07113103-3101
psychosomatik@klinikum-
esslingen.de
Praxis Dr. Roth & Partner
Dr. Gerhard Dieter Roth
Hindenburgstraße 35
73760 Ostfildern
Telefon 0711-3415530
info@nervenarztpraxis-
ostfildern.de
Dr. Björn Nolting
Dr. Gerhard Dieter Roth




