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Esslinger Gesundheitsmagazin 11
Formen, die als balancierte Anästhesie
bezeichnet wird. „Insgesamt kombinie-
ren wir Medikamente aus verschiedenen
Wirkstoffgruppen, um den Patienten zu
narkotisieren. Dazu gehören Analgetika
(Schmerzmittel), Hypnotika („Schlaf-
mittel“) und Muskelrelaxantien („mus-
kelerschlaffende Mittel“). Letztere sor-
gen dafür, dass die Skelettmuskulatur
gelähmt wird, was dazu führt, dass der
Patient beatmet werden muss.“
Wie viele Medikamente ein Patient vor
der Operation bekommt, variiert stark
und hängt davon ab, wie viel er wiegt, wie
alt er ist und wie seine Gewohnheiten
sind. „Menschen, die viel Alkohol trinken,
brauchen in der Regel auch eine höhere
Dosis. Das liegt daran, dass ihre Leber
gewohnt ist, Medikamente schneller
abzubauen. Patienten, die hingegen kaum
oder nie Alkohol konsumieren, benötigen
in der Regel weniger Narkosemittel“,
erklärt der Anästhesist. Auch Raucher
haben im Kontext einer Vollnarkose oft-
mals mehr Schwierigkeiten als Nichtrau-
cher. Das hängt damit zusammen, dass
die Atemwege von Rauchern auf Reize
besonders empfindlich reagieren und ver-
mehrt zähen Schleim produzieren. Dies
führt zum einen dazu, dass die Beatmung
dieser Patienten erschwert wird, zum
anderen nach Operationen ein vermehrter
Hustenreiz besteht. „Generell raten wir,
möglichst lange vor einem Eingriff das
Rauchen zu unterlassen, um einen posi-
tiven Effekt auf die Lungenfunktion zu
erzielen. Das ist jedoch leider nur selten
umsetzbar.“
Jährlich werden
8.500
Narkosen unterschiedlicher Art
in Klinikum Esslingen
verabreicht.
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Es ist kaum mehr vorstellbar: Wenn unsere Vorfahren
vor knapp 200 Jahren operiert werden mussten,
kamen meist kräftige Burschen, die sie auf einem
Operationstisch festhielten oder festbanden, ehe der
Chirurg sein Messer zückte. Glück hatte, wer durch
die Schmerzen ohnmächtig wurde und nichts mehr
um sich herum mitbekam. Pech der, der bei vollem
Bewusstsein jeden Schnitt des Arztes spürte. Heute,
180 Jahre später, ist eine wirkungsvolle Anästhesie
selbstverständlich wichtiger Bestandteil der modernen
Medizin.
In Deutschland feierte die moderne Anäs-
thesie am 24. Januar 1847 ihren Geburts-
tag. Die Zahnärzte Heinrich Weikert und
Carl Obenaus aus Leipzig betäubten ihren
Patienten mit einer Äthernarkose. Auch
ihr Kollege in Erlangen, Ferdinand Heyfel-
der, bediente sich am selben Tag dieser
Methode, die erstmals ein Jahr zuvor,
1846, vom Amerikaner William Morton
im Massachusetts General Hospital in
Boston erprobt wurde. Eine schmerzfreie
Operation war aber nicht allen Chirurgen
der damaligen Zeit geheuer. Viele Ärzte
sahen die neue Methode skeptisch. Sie
hatten das Gefühl, ohne die Schmerzens-
schreie des Patienten den Bezug zu ihm
zu verlieren. Heute ist das zum Glück
anders.
Privatdozent Dr. Ulrich Bissinger ist Chef-
arzt der Klinik für Anästhesiologie und
operative Intensivmedizin am Klinikum
Esslingen. Er kennt sich mit allen Fragen
rund um das Thema Narkose aus. Bis
weit in die 1960er Jahre, so erzählt er,
hat sich die Äthernarkose in der
Anästhesie gehalten. Mit einer
Metallmaske, auf die ein mit Äther
beträufeltes Tuch gespannt wurde,
narkotisierten die Anästhesisten den
Patienten. „Die Narkosestadien wur-
den anhand des sogenannten Guedel-
Schemas definiert. Dazu gehörten Pupil-
lenweite, Atmung, Pulsschlag und
Reflexverhalten des Patienten“, erklärt
Dr. Bissinger. Heute verläuft die Narko-
seüberwachung freilich anders. Mit Hilfe
moderner Technik überwachen Dr. Bis-
singer und sein Team Blutdruck, Herzfre-
quenz und Pupillenweite des Patienten.
Auch Äther wird heute nicht mehr ver-
wendet. Das hochexplosive Gemisch hat
im OP nichts mehr verloren. Zu gefährlich
ist die Nutzung.
Dosis und Medikament hängen
vom Körperbau des Patienten ab
Jährlich werden in Esslingen rund 8.500
Narkosen unterschiedlichster Art verab-
reicht. „Wir unterscheiden zwischen Voll-
und Teilnarkose sowie verschiedenen For-
men der Regionalanästhesie. Je nach
Eingriff variieren Medikament, Menge
und Art der Verabreichung.“ Bei Vollnar-
kosen werden Inhalationsanästhetika ein-
gesetzt, also Anästhetika, die über die
Atemluft in den Körper gelangen. Auch
eine intravenöse Narkose ist möglich, bei
der das Anästhetikum direkt ins Blut inji-
ziert wird. Eine häufig durchgeführte
Variante ist eine Mischung aus beiden