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1 2017

Esslinger Gesundheitsmagazin 29

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„Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mich getraut haben,

mein Kind anzufassen“, erzählt die Mutter eines Frühgeborenen

und eine andere ergänzt: „Ich hatte einfach Angst, etwas kaputt

zu machen.“ Acht Mütter und ein Vater mit ihren Babys sind an

diesemMittwochvormittag ins Elterncafe gekommen, sitzen im

großen Kreis, um über ihre Erfahrungen zu berichten. Die Kinder

im Arm oder auf dem Schoß sind inzwischen aus dem Gröbsten

raus, die meisten aber immer noch ziemlich klein; denn alle sind

zu früh geboren – viel zu früh. „Eigentlich wäre meine Tochter

noch gar nicht auf der Welt, der errechnete Geburtstermin ist

erst der nächste Samstag“, erzählt eine der Mütter. Anfang

Dezember jedoch wollte das Kind schon auf die Welt, viel zu

früh und mit gerade mal 1.150 Gramm Geburtsgewicht. Sieben

Wochen lang wurde der kleine Mensch auf der neonatologischen

Intensivstation, der Spezialstation für Frühgeborene im Klinikum

Esslingen aufgepäppelt. Seit zwei Wochen sind Mutter und

Tochter inzwischen daheim. „Das ist heute der erste größere

Ausflug.“

Die Frühgeborenen-Station des Klinikums Esslingen gehört zum

Perinatalzentrum Level I und damit zur höchsten Stufe der medi-

zinischen Versorgung Frühgeborener. Hier dürfen auch sehr

kleine Frühchen unter 1.250 Gramm Geburtsgewicht versorgt

werden. Voraussetzung dafür sind eine entsprechende Ausstat-

tung sowie Ärzte und Pflegekräfte mit viel Erfahrung. Mindes-

tens 14 Frühgeborene unter 1.250 Gramm pro Jahr müssen die

Zentren versorgen, um die Anerkennung als Level 1-Zentrum zu

erhalten. Im Klinikum Esslingen wurden im vergangenen Jahr 39

Frühgeborene unter 1.500 Gramm, darunter 29 unter 1.250

Gramm versorgt.

„Ab der 24. Schwangerschaftswoche stehen die Chancen heute

gut, dass die Frühgeborenen gesund überleben“, erläutert Klaus

Niethammer. Der leitende Oberarzt arbeitet seit über 30 Jahren

als Neonatologe im Klinikum Esslingen und verfügt über Erfah-

rungen in der medizinischen Versorgung der kleinsten Patienten

wie kaum ein anderer im Haus. So früh Geborene sind meist sehr

klein. „Das kleinste Frühchen, das wir bislang in Esslingen erfolg-

reich versorgt haben, kam 2016 mit nur 320 Gramm Geburts-

gewicht auf die Welt.“ Kinder, die vor der 22. Schwangerschafts-

woche geboren werden, haben kaum Chancen zu überleben. Bei

Frühgeborenen, die zwischen der 22. und 24. Woche zur Welt

kommen, wird es extrem schwierig. In diesem Schwanger-

schaftsalter haben die Eltern das Recht mit zu entscheiden, ob

versucht werden soll, ihr Kind intensivmedizinisch zu behandeln.

„Das kleinste Frühchen,

das wir bislang in

Esslingen erfolgreich

versorgt haben, kam

2016 mit nur 320

Gramm Geburtsgewicht

auf die Welt.“

Oft deutet sich eine Frühgeburt an, so dass die Schwangeren

rechtzeitig in ein Perinatalzentrum wie das im Klinikum Esslin-

gen verlegt werden können. Die optimale Versorgung erfordert

eine enge Zusammenarbeit mit der Geburtshilfe; oft kann die

Geburt noch einige Tage verzögert werden, immer erfolgt ein

ausführliches Gespräch mit den Eltern durch den Neonatologen.

„Nahezu zu 100 Prozent können wir dann die Lungenreife des

Kindes durch eine Cortisonprophylaxe unterstützen“, erläutert

Oberarzt Niethammer. „Optimal ist eine Cortisonspritze 48 Stun-

den und eine weitere 24 Stunden vor der Geburt.“ Bei der Geburt,

nicht selten durch Kaiserschnitt, sind die Neonatologen dann

immer dabei, leiten alle Behandlungsmaßnahmen vor Ort ein

und übernehmen das Frühgeborene auf die Intensivstation.

„Wann immer möglich, sollte noch im Kreißsaalbereich ein

Elternteil das Kind sehen, Körperkontakt aufnehmen und Infor-

mationen zum Geburtsverlauf erhalten.“

Die erste Begegnung ist meistens ein Schock

Die frühe Geburt und dann das eigene, so unglaublich kleine

Baby, angeschlossen an Kabel und Schläuche im „Brutkasten“,

dem Inkubator, zu sehen, ist für die Eltern meistens ein Schock.

„Unsere Tochter wurde am Ende der 24. Schwangerschaftswo-

che geboren und dann begann für uns eine sehr, sehr schwere

Zeit“, erzählt ein Vater. Wann immer es möglich war, waren seine

Frau und er in der Klinik bei ihrem Kind. „Immer wieder haben

uns die Ärzte und die Schwestern hier auf der Station eine große

Last von den Schultern genommen, uns gezeigt, dass es auf-

wärts geht und uns Mut gemacht.“ Besonders wichtig sei aber

auch der Austausch mit anderen Eltern gewesen, deren Kinder

gleichzeitig auf der Frühgeborenen-Station versorgt wurden.

„Was wir hier durchgemacht haben, können eigentlich nur Men-

schen wirklich nachempfinden, die das gleiche erlebt haben“,

berichtet der Vater weiter.

Denn nicht immer geht es nur aufwärts, vor allem die sehr klei-

nen, sehr früh Geborenen müssen immer wieder mit Komplika-

tionen kämpfen. „Bei unserem Kind trat plötzlich eine Gehirn-

blutung auf. Mehrmals musste Gehirnwasser mit einer Punktion

abgeleitet werden“, berichtet eine Mutter von dramatischen

Tagen und Wochen. „Bei unserem Sohn war eine Leistenbruch-

Operation nötig“, erzählt eine andere Mutter. „Und dann

reagierte er plötzlich mit einem allergischen Schock auf das

Narkosemittel und wachte nach der Operation verzögert auf.“

Die Eltern mussten das Schlimmste befürchten und dann

kämpfte sich der kleine Mensch doch wieder ins Leben zurück.

„Man bekommt mit, durch welche Hölle die Eltern in

„Ab der 24. Schwanger­

schaftswoche stehen

die Chancen heute gut,

dass die Frühgeborenen

gesund überleben.“