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30 Esslinger Gesundheitsmagazin

1 2017

solch einer Situation gehen“, erzählt der Vater in der Elternrunde.

„Aber dann erlebt man auch, wie am Ende doch alles gut geht,

und das macht Mut für die eigene Situation.“ Dennoch bleibt

immer die Angst um das eigene Kind. „ImAnfang habe ich immer

auf die Überwachungsmonitore geschaut, bin bei jedem blin-

kenden Licht oder Alarmton erschrocken.“ Mit der Zeit aber ler-

nen die Eltern damit umzugehen, lernen auch die Reaktionen

ihres Kindes besser zu beurteilen.

Die Eltern können viel zur Entwicklung beitragen

„Ausschlaggebend für eine positive Entwicklung der Frühgebo-

renen sind ihre Reife und das Gewicht und nach der Entlassung

liebevolle und fördernde Eltern“, erläutert Neonatologe Niet-

hammer. „Außerdem schneidenMädchen imDurchschnitt etwas

besser ab als Jungen.“ Da Lunge und Gehirn bei den Frühchen

nicht ausgereift sind, sind auch Komplikationen möglich. Gehirn-

blutungen und chronische

Lungenerkrankungen gehören

dazu oder auch Darmentzün-

dungen. „Vor allem Kreislauf

und Lunge müssen sich inner-

halb kürzester Zeit nach der

Geburt umstellen; die Lunge

mus s sich ent f alten und

durchblutet werden. Das

klappt nicht immer.“ Pflege-

personal und Ärzte der Inten-

sivstation müssen diese Kom-

plikationen sofort erkennen

und entsprechend reagieren. Dabei unterstützt sie modernste

Überwachungstechnik, dennoch ist auch viel Erfahrung nötig.

Allerdings hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Behandlung

der Frühgeborenen auch einiges geändert. „Manche Therapie,

die zunächst als sehr wirkungsvoll gefeiert wurde, hat sich im

Langzeitergebnis später als eher schädlich herausgestellt.“ Frü-

her habe beispielsweise der Neonatologe als besonders gut

gegolten, der die Frühchen besonders schnell intubieren und so

künstlich beatmen konnte. „Die Kinder sollten möglichst selbst

schnaufen können“, sagt Oberarzt Niethammer heute. „Bei den

meisten Frühgeborenen gelingt das auch. Dazu müssen sie sti-

muliert werden, was manchmal etwas Zeit braucht.“ So wird

den meisten Frühchen heute eine Intubation erspart. Stattdes-

sen werden sie kontinuierlich mit einer Atemhilfe und Sauerstoff

nach Bedarf versorgt. Eine entscheidende Rolle bei der Entfal-

tung der Lungenbläschen nach der Geburt bildet zudem die in

der Lunge gebildete Substanz „Surfactant“. Diese kann seit Ende

der achtziger Jahre künstlich hergestellt und den Frühgeborenen

in die Luftwege verabreicht werden. „Sofern die kleinen Früh-

geborenen eine gute Eigenatmung haben, können wir Surfacant

über einen dünnen Schlauch in die Lunge einbringen, den

Schlauch wieder entfernen, um damit die Entfaltung der Lun-

genbläschen wirkungsvoll zu unterstützen und eine eigentliche

Intubation und Beatmung zu vermeiden.“

Routine ist inzwischen, dass niedergelassene Augenärzte aus

Esslingen den Augenhintergrund bei allen Frühgeborenen sechs

Wochen nach der Geburt auf der Intensivstation untersuchen.

Durch ein Überangebot an Sauerstoff und stark schwankende

Sauerstoffsättigungen im Blut kann es zu Schäden am Augen-

hintergrund kommen, die im schlimmsten Fall zu einer Erblin-

dung führen können. Dank der genauen Steuerung der Sauer-

stoffsättigung mit einer guten Überwachung, einer frühzeitigen

Untersuchung und den möglichen Behandlungen im Bedarfsfall

ist diese Gefahr heute deutlich geringer.

„Die Schwangerschaft war so kurz, ich hatte keine Chance,

mich auf die Geburt vorzubereiten“, erzählt eine Mutter. Ihr

Sohn kam per Kaiserschnitt zur Welt, so dass sie ihn auch nicht

gleich sehen konnte. Und dann lag das eigene Kind im Inkuba-

tor unter einer „Glashaube“. „Das war einerseits ein Schock,

andererseits war das Kind zunächst ein Fremdkörper für mich.

Ich musste erst erkennen, dass das mein Kind ist, mich daran

gewöhnen, um überhaupt Muttergefühle entwickeln zu kön-

nen.“ Auch deshalb werden die Eltern so früh wie möglich von

Ärzten und Kinderkrankenschwestern auf der Station in die

Pflege und Versorgung ihrer Kinder einbezogen. „Sobald es der

Allgemeinzustand der Kinder zulässt, animieren wird die Eltern

zum Känguruhen, also dazu, sich ihr Kind Haut auf Haut auf

Brust und Bauch legen zu

las s en“, er k lär t Heidi

Nirschl, Stationsleitung der

K98. So ganz einfach ist

das aber auch für die Eltern

nicht. Und wenn dann

auch noch beim ersten

Körperkontakt mit dem

Kind sich versehentlich ein

Schlauch löst, dann ist die

Angst umso größer. „Wäh-

„Die Schwangerschaft war

so kurz, ich hatte keine

Chance, mich auf die

Geburt vorzubereiten.“

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Im Elterncafe ist für die Eltern der Frühgeborenen Zeit für

Gespräche und Austausch

Über 30 Jahre Erfahrung mit Frühgeborenen:

Oberarzt Klaus Niethammer