

1 2016
Esslinger Gesundheitsmagazin 19
Windpocken hat bei uns fast jeder gehabt. Die meisten stecken
sich als Kinder irgendwo mit der hochansteckenden Krankheit
an. In der Regel ohne große Komplikation ist die typische Kin-
derkrankheit auch schnell überwunden. Anschließend ist man
sein Leben lang geschützt: Windpocken kann man nur einmal
im Leben bekommen, danach ist unser Immunsystem dauerhaft
gewarnt. Dennoch bleiben die Windpocken nicht ohne Folgen.
In veränderter Form lagern sich die Windpocken-Viren ( = Vari-
zella-Zoster-Viren) an den Nervenenden im Rückenmark an. Dort
„schlafen“ sie über Jahre und Jahrzehnte, unbemerkt und ohne
uns zu beeinträchtigen.
„Im mittleren Lebensabschnitt, ab dem 50. Lebensjahr, werden
die Varizella-Zoster-Viren dann oft aktiv und lösen die soge-
nannte Gürtelrose aus“, erläutert Privatdozentin Dr. Regina Ren-
ner. In die Praxis der Esslinger Hautärztin kommen recht viele
Patienten mit dem typischen bläschenförmigen Hautausschlag,
denn die Gürtelrose, medizinisch Herpes Zoster oder kurz Zoster
genannt, ist eine sehr häufige Erkrankung. Ausgelöst wird sie aus
unterschiedlichen Gründen und nur selten lässt sich eine
bestimmte Ursache festmachen, die dazu führt, dass die „schla-
fenden“ Zoster-Viren plötzlich aktiv werden. Ein geschwächtes
Immunsystem ermöglicht die Aktivität der Viren, aber auch
Stress kann das Entstehen einer Gürtelrose begünstigen. „Jün-
gere Menschen können zum Beispiel unter Prüfungsstress eine
Gürtelrose entwickeln, genauso können Schwangere erkranken“,
sagt Dr. Renner. „Vor allem aber steigt das Erkrankungsrisiko mit
zunehmendem Alter, wenn das Immunsystem insgesamt zu
schwächeln beginnt.“
Die Gürtelrose kann überall am Körper auftreten
Am häufigsten tritt die Gürtelrose am Rumpf auf, in aller Regel
nur einseitig, aber als mehr oder weniger breiter Streifen aus
flüssigkeitsgefüllten Bläschen. Dieser gürtelförmige Hautaus-
schlag gab dem Herpes-Zoster seinen volkstümlichen Namen
Gürtelrose. „Dennoch ist die Gürtelrose eigentlich keine Haut-
krankheit, sondern eine Erkrankung der Nerven“, erläutert Dr.
Renner. So erklärt sich auch die streifenförmige Ausbreitung.
Denn auch der Hautauschlag verläuft entlang eben jenes Ner-
venstrangs, der vom Virus befallen ist: „Das Varizella-Zoster-
Virus sitzt an der Nervenbasis am Rückenmark und löst die Gür-
telrose entlang des Bereiches aus, der von hier aus enerviert
wird.“ Im Prinzip kann eine Gürtelrose am ganzen Körper auf-
treten. Der Kopf ist der am zweithäufigsten betroffenen Bereich.
Dann kann es auch zusätzliche Komplikationen geben, wenn
etwa der Hörnerv oder ein Auge betroffen sind. In diesen Fällen
bezieht die Hautärztin einen HNO- oder einen Augenarzt in die
Behandlung mit ein.
Während die Kinderkrankheit Windpocken, über Tröpfchenin-
fektion übertragen, hochansteckend ist, besteht bei der Gürtel-
rose nur eine vergleichsweise geringe Gefahr für andere Men-
schen, sich anzustecken. Allerdings birgt die Flüssigkeit in den
Bläschen des Hautausschlags ein gewisses Ansteckungsrisiko.
„Die Patienten sollten deshalb den Kontakt mit Schwangeren
oder Kindern, die noch keine Windpocken hatten, vermeiden.“
Bei vielen Menschen verläuft die Gürtelrose vergleichsweise
harmlos. Außer dem unangenehmen Hautauschlag haben diese
Patienten keine besonderen Beschwerden. Andere leiden unter
mehr oder weniger starkem Juckreiz. Eine dritte Gruppe klagt
zudem über oft brennende Schmerzen in den betroffenen Berei-
chen. „Für die gezielte Behandlung des Herpes-Zoster stehen
inzwischen sehr gut wirksame antivirale Medikamente zur Ver-
fügung“, berichtet Dr. Renner. Gängige Medikamente sind Acic-
lovir oder auch Brivudin. Letzteres muss in Tablettenform einmal
täglich über eine Woche eingenommen werden. „Die Gürtelrose
klingt dann in aller Regel rasch ab.“ Nur in wenigen, schweren
Fällen wird die Erkrankung mit einer Infusionstherapie
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Gürtelrose betrifft jedes Jahr
viele Menschen
Das Robert Koch-Institut hat ausgerechnet, dass
in Deutschland jährlich mehr als 400.000 Men-
schen an einer Gürtelrose erkranken. Im Alter
von 50 Jahren liegt die jährliche Erkrankungs-
rate bei sechs von 1.000 Personen. Der Wert
steigt bis zu 13 Erkrankten von 1.000 Personen
bei den 90-Jährigen. Frauen sind im Verhältnis
drei zu zwei öfter betroffen als Männer. Etwa
zehn bis 15 Prozent entwickeln im Anschluss
eine Post-Zoster-Neuralgie und leiden einige
Wochen bis zu mehreren Jahren unter unter-
schiedlichen Schmerzen. Auch Häufigkeit und
Dauer dieser Komplikation nach einer Gürtelrose
steigen mit dem Lebensalter. Während Men-
schen um die 60 nur in fünf Prozent der Fälle
eine Post-Zoster-Neuralgie nach einer Gürtel-
rose entwickeln, besteht bei den über 75-Jähri-
gen eine 75-prozentige Wahrscheinlichkeit.
„Die Gürtelrose ist keine
Hautkrankheit, sondern
eine Erkrankung der
Nerven.“
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PD Dr. Regina Renner
Karl Köhrer