Background Image
Table of Contents Table of Contents
Previous Page  36 / 52 Next Page
Basic version Information
Show Menu
Previous Page 36 / 52 Next Page
Page Background

36 Esslinger Gesundheitsmagazin

1 2016

Patienten ein mögliches Risiko überwiegt“, sagt Professor

Geißler. Sein Kollege Professor Matthias Leschke arbeitet seit

mehr als zehn Jahren in der Ethikkommission der Nordwürt-

tembergischen Ärztekammer: „Eine Ethikkommission achtet

genau auf die ethischen Aspekte, die Zuverlässigkeit und Durch-

führbarkeit, auf mögliche Risiken und den zu erwartenden Nut-

zen. Eine Studie darf nur durchgeführt werden, wenn von Sei-

ten der Ethikkommission keine Bedenken vorliegen.“

Sicherheit an erster Stelle

Die Maßstäbe, um eine Studie durchführen zu können, sind in

Deutschland sehr hoch, das dient der Patientensicherheit. „Der

hohe bürokratische Aufwand lässt die Kosten jedoch schon vor

der eigentlichen klinischen Arbeit immens in die Höhe steigen.“

Deshalb ist es fast unmöglich, Studien ohne die finanzielle

Unterstützung der Pharmaindustrie zu verwirklichen. „Wir Wis-

senschaftler verlieren dadurch aber ein Stück Unabhängigkeit“,

kritisiert Professor Geißler.

Deswegen fordert der Esslinger Onkologe sowie viele andere

Mediziner, einen staatlichen, unabhängigen Fond nach US-

amerikanischem Vorbild zu gründen. Die Fördermittel der Deut-

schen Forschungsgemeinschaft und der Deutschen Krebshilfe

sind hier bei weitem nicht ausreichend. „Es gibt allein 80 ver-

schiedene Krebserkrankungen, für die in unterschiedlichen Sta-

dien verschiedene Behandlungsmethoden erforscht werden

müssen.“ Ohne eine ausreichende Finanzierung ist das aber nur

schwer möglich. „Damit ein Studienzentrum einigermaßen kos-

tendeckend arbeiten und die hohen Anforderungen an Qualität

und Dokumentation einer Studie erfüllen kann, sind Kosten pro

Studienpatient von 5.000 Euro und mehr notwendig. Dazu kom-

men pro Patient nochmals ca. 10.000 Euro, damit spezielle Ins-

titute die Studien betreuen und die Daten auswerten. Bei einer

Studie mit 1.000 Patienten laufen hier ohne Behördenkosten

ohne weiteres 15 Millionen Euro auf. Als börsennotierte Unter-

nehmen verfolgen Pharmafirmen bei der Unterstützung von

Medikamentenstudien ein klares ökonomisches Ziel. „Deshalb

ist das Interesse an Studien über die großen Volkskrankheiten

größer als bei seltenen Krankheiten“, sagt Professor Geißler. All

diese bürokratischen Hürden nehmen Zeit in Anspruch – bis zu

zwei Jahre von der Planung bis zum Start der Studie und Ein-

schluss des ersten Patienten. Neben dem Studienleiter und den

benannten Prüfärzten ist die Arbeit des Studiensekretariates

mit den Studienassistenten von großer Bedeutung. Im Studi-

enzentrum von Professor Geißler am Klinikum Esslingen küm-

mern sich zwei Studienassistentinnen um die Bürokratie und

die Dokumentation. „Sie entlasten uns Ärzte von der Bürokra-

tie und weisen uns zum Beispiel darauf hin, wann Blutwerte

untersucht werden müssen“, sagt Professor Geißler. „Es ist im

übrigen klar geregelt, dass nur die benannten und entsprechend

geschulten Ärzte die Patienten behandeln und aufklären dür-

fen“, erklärt Professor Geißler.

Je mehr Patienten an einer Studie teilnehmen, desto aussage-

kräftiger sind die Ergebnisse. Doch die Suche nach den passen-

den Patienten kann Zeit in Anspruch neh-

men. „Für 100 Patienten habe ich schon

mal dreieinhalb Jahre gesucht“, erzählt

Professor Geißler. Um genug Patienten zu

rekrutieren, sind weltweit immer mehrere

Zentren und Kliniken an einer Studie

beteiligt. „Fast 50 Studien laufen aktuell

am Klinikum Esslingen. Das ist vergleich-

bar mit einer Universitätsklinik“, sagt er.

Schwerpunkte liegen bei Lymphdrüsen-

krebs, Leukämien, Lungen-, Speiseröh-

ren-/Magen-, Darm-, Bauchspeicheldrü-

sen-, Brust- und Eierstockkrebs.

Unter anderem forscht Professor Geißler an der Immuntherapie

und zielgerichteten Substanzen zur Behandlung von Krebs. „Wir

wollen weg von der Chemotherapie, die auf den ganzen Körper

wirkt und hin zu einer gezielten Bekämpfung der Tumorzellen“,

erklärt Professor Geißler. Im Kampf gegen den Dickdarmkrebs

wird zum Beispiel versucht, das körpereigene Immunsystem

gegen den Tumor zu aktivieren. Eine weitere Studie vergleicht

neue Therapien mit Viren, Impfungen und Antikörpern gegen

Bauchspeicheldrüsenkrebs.

„Wir wollen weg von der Chemo-

therapie, die auf den ganzen

Körper wirkt und hin zu einer

gezielten Bekämpfung der

Tumorzellen.“

Gewusst?

Placebo

Placebos nennt man Scheinmedikamente,

die keine Wirkung haben. Sie werden in

klinischen Studien eingesetzt, um einen

Vergleich zu den getesteten Medikamen-

ten zu haben.

„Die Ethikkommission

prüft, ob der Nutzen

für den Patienten ein

mögliches Risiko über-

wiegt.“

>>>