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46 Esslinger Gesundheitsmagazin

2 2015

Tagen der Krisenintervention zunächst

nach Hause, aber mit einer Aufgabe ent-

lassen. „Was soll mit einer stationären

Behandlung erreicht werden? Was brauch

es ich?“ sind Fragen, die der Jugendliche

für sich beantworten soll. „Ein so geplan-

ter, gut vorbereiteter Beginn einer statio­

nären Therapie ist für die Kinder und

Jugendlichen meist ein besserer Anfang

als wenn sie nach einer akuten Krise

gleich dableiben müssen“, erklärt Dr. Joas.

Alltag leben

Auf der Station gibt es dann neben Ein-

zel- und Gruppentherapien soviel Norma-

lität wie möglich. Es wir gemeinsam

gespielt und gekocht. „Die Jugendlichen

haben zum Beispiel einmal wöchentlich

ein tolles Frühstück unter einem Länder-

motto gemacht“, nennt Dr. Joas ein Bei-

spiel. Das Leben in der Gemeinschaft hilft

bei der Alltagsbewältigung und dabei

neue Kompetenzen zu erwerben.

Damit die meist schulpflichtigen Kinder

und Jugendlichen durch die stationäre

Behandlung nicht ganz den Anschluss an

ihre Mitschüler in der Heimatschule ver-

lieren, gibt es am Klinikum Esslingen die

Schule für Kranke mit 30 zusätzlichen

Plätzen für die Kinder- und Jugendpsych-

iatrie. Lehrer aus den unterschiedlichen

Schularten unterrichten die Kinder und

Jugendlichen vormittags in kleinen Lern-

gruppen. Der Unterricht orientiert sich

dabei am Stoff, der auch in der Heimat-

schule gerade durchgenommen wird.

Dazu stehen die jeweiligen Betreuungs-

lehrer im regelmäßigen Kontakt mit den

Klassenlehrern der Schülerinnen und

Schüler. „Die Schule ist für unsere Arbeit

elementar wichtig, weil auch sie ein Stück

Alltagsnormalität für unsere Patienten

darstellt“, urteilt Dr. Joas. Rechtzeitig zum

Start der stationären Klinikbereiche ist die

Schule in neu aufgestellte Container ein-

gezogen. Mit dieser für zwei bis drei Jahre

geplanten Zwischenlösung wird die Zeit

überbrückt, bis die neuen Schulräume auf

dem Haus 17 fertiggestellt sind, in dem

auch die Schule für Pflegeberufe unter-

gebracht ist.

Mit ihren differenzierten Angeboten von

der PIA über die Tagesklinik bis zum sta-

tionären Bereich wird in der Klinik für Kin-

der- und Jugendpsychiatrie die gesamte

Bandbreite seelischer Störungen und psy-

chischer Erkrankungen behandelt – von

der Angststörungen und Borderlinestö-

rungen, über Traumata und Zwangs­

sstörungen bis zu Depressionen, frühen

psychotischen Störungen und Schul-

verweigerung. „Gerade bei Kindern und

Jugendlichen haben wir oft noch die

Chance, eine Chronifizierung einer seeli-

schen Störung zu verhindern, wenn es

gelingt, sie rechtzeitig umfassend zu

behandeln.“

Deshalb will Dr. Joas vor allem das Ambu-

lanzangebot weiter ausbauen. Und damit

geht er auch über die Grenzen des Esslin-

ger Klinikums hinaus. In Nürtingen, in der

dortigen Erwachsenenpsychiatrie hat er

eine Außenstelle eröffnet. Gedacht ist das

Angebot etwa für Kinder psychisch kran-

ker Eltern, aber auch für die Überleitung

von Patienten aus der Kinder- und

Jugendpsychiatrie in die Erwachsenen-

psychiatrie, die sogenannte Transition.

Dazu gehört auch die verstärkte Zusam-

menarbeit mit der Klinik für Psychosoma-

tische Medizin und Psychotherapie im

Klinikum Esslingen, die ebenfalls einen

Bereich für Jugendliche hat.

„Es gibt nicht selten die Situation, dass

die psychisch kranke Mama nicht in

Behandlung geht, weil kein Platz für das

Kind da ist – mit entsprechenden Auswir-

kungen auf das Kind“, plädiert Dr. Joas für

eine engere Zusammenarbeit der Erwach-

senen- mit der Kinder- und Jugendpsych-

iatrie. Wie die aussehen könnte, dazu hat

der Kinder- und Jugendpsychiater einen

sehr konkreten Traum: „Ideal wäre eine

Eltern/Kind-Tagesklinik. Da kann die

depressive Mutter dann zusammen mit

ihrem hyperaktiven Sohn behandelt wer-

den.“ Was in Esslingen noch ein Traum ist,

konnte in Kliniken in Dresden und Müns-

ter bereits umgesetzt werden.

so

Eine neue Herausforderung für

die Kinder- und Jugendpsychiatrie

sieht Dr. Joas in der Betreuung

von Jugendlichen, die als Flücht-

linge allein zu uns kommen und

die nicht selten durch die Ereig-

nisse in ihren Heimatländern und

Erfahrungen auf der Flucht trau-

matisiert sind. Vermittelt über die

Jugendhilfe haben Dr. Joas und

einer seiner Oberärzte bereits

Flüchtlingsunterkünfte besucht

und mit Jugendlichen gesprochen.

Einen schwer traumatisierten

16-Jährigen aus Afghanistan

haben die Kinder- und Jugendpsy-

chiater gleich in Behandlung

genommen. Zusammen mit sei-

nem Chefarztkollegen Dr. Björn

Nolting aus der Klinik für Psycho-

somatische Medizin und Psycho-

therapie betreut Dr. Joas zudem

einige der jesidischen Mädchen

und Frauen, die über ein Pro-

gramm des Landes Baden-Würt-

temberg auch in Esslingen unter-

gebracht worden sind. „Um den

Kindern und Jugendlichen, die

aus Krisengebieten zu uns kom-

men, wirkungsvoll helfen zu kön-

nen, müssen alle Bereiche der

Jugendhilfe schnell und unbüro-

kratisch zusammenarbeiten“, for-

dert Dr. Joas.

„Bei Kindern und Jugendlichen

haben wir oft noch die Chance,

eine Chronifizierung einer seeli-

schen Störung zu verhindern.“

>>>

Hilfe für traumatisierte

minderjährige Flüchtlinge

Dr. Gunter Joas