Background Image
Table of Contents Table of Contents
Previous Page  21 / 52 Next Page
Basic version Information
Show Menu
Previous Page 21 / 52 Next Page
Page Background

2 2015

Esslinger Gesundheitsmagazin 21

In den letzten 30 Jahren hat sich das Verständnis über die Funk-

tionsweise des menschlichen Immunsystems dramatisch verän-

dert. Die Wissenschaft hat inzwischen herausgefunden, wie das

Immunsystem fremde Eiweiße, etwa bei Infektionen mit Viren

oder Bakterien, erkennt, wie die Immunreaktion reguliert wird

und wie unser Immunsystem erfolgreich gegen infektiöse Erre-

ger vorgeht. Mit diesem Wissen war es folgerichtig, dass sich

Wissenschaftler und Ärzte auch an die Manipulation des Immun-

systems heranwagten. Dabei geht es nicht nur darum, Infektio-

nen besser bekämpfen zu können, sondern auch um Fortschritte

in der Behandlung von Autoimmunerkrankungen, bei denen sich

das Immunsystem gegen den eigenen Körper wendet, und ins-

besondere um den Kampf gegen Tumorerkrankungen.

Krebs und Immunsystem

In der medizinischen Literatur gibt es Einzelfallberichte, in denen

beschrieben wird, dass fortgeschrittene Krebserkrankungen

durch das körpereigene Immunsystem so effektiv bekämpft wur-

den, dass über viele Jahre das Tumorwachstum gestoppt oder

sogar ein eigentlich nicht heilbarer Tumor geheilt wurde. Diese

Fallberichte waren wichtige Hinweise für Wissenschaftler und

Ärzte, dass das Immunsystem prinzipiell als sehr effektive und

mächtige Waffe gegen Krebserkrankungen eingesetzt werden

kann. Leider gelang es lange Zeit nicht herauszufinden, warum

das Immunsystem in seltenen Fällen eine besonders starke,

gegen den Tumor gerichtete Wirkung besitzt, während bei den

meisten anderen Krebs-Patienten das Immunsystem keinerlei

Effekt auf das Tumorwachstum zeigt.

Die Forschung konzentrierte sich nun auf Tumore, die vom

Immunsystem als Erkrankung erkannt werden. Dazu gehören

zum Beispiel Lymphome, der schwarze Hautkrebs (Melanome)

und einige Brustkrebsvarianten oder spezielle Dickdarmkrebsty-

pen. Bei diesen Krebserkrankungen konnte eine große Anzahl

von Immunzellen, die sogenannten Lymphozyten oder Killerzel-

len im Tumor nachgewiesen werden. Die Hoffnung war, dass es

hier gelingen könnte, das Immunsystem so zu stärken, dass es

die Tumorzellen angreift und vernichtet. Das heißt, die Forscher

versuchten aus der einem VW Käfer vergleichbaren antitumo-

ralen Leistung des Immunsystems einen Ferrari zu machen. Bei

einigen Patienten mit Melanomen und Nierenzellkarzinomen

gelang das tatsächlich. Dazu wurden den Patienten hochdosierte

immunstimulierende Eiweiße, sogenannte Zytokine, ins Blut inji-

ziert. Allerdings zeigte das Immunsystem nur bei fünf bis zehn

Prozent der behandelten Patienten eine verstärkte Wirkung

gegen den Tumor. Zudem litten die Patienten unter starken

Nebenwirkungen.

In der Folge wurde untersucht, wie eine Killerzelle des Immun-

systems überhaupt in der Lage ist, eine virusinfizierte Körper-

zelle oder eine Tumorzelle als Feind zu erkennen, und was sie

dann dazu bringt, die Tumorzelle anzugreifen. Wenn die Killer-

zelle an die sogenannten Rezeptoren einer Tumorzelle andockt,

erhält sie zwei Signale. Signal 1 sagt der Killerzelle, dass sie eine

körperfremde Zelle vor sich hat. Signal 2 ist ein sogenanntes

Co-Stimulationssignal, das der Killerzelle den Befehl gibt, Gas

zu geben, den vollen Aktivierungszustand zu erreichen. Beide

Signale sind notwendig, damit eine Killerzelle eine virusinfizierte

Körperzelle oder eine Tumorzelle vernichten kann.

Nun wurden in einem sehr aufwändigen Verfahren im Reagenz-

glas besonders präparierte Killerzellen erzeugt und den Patien-

ten injiziert. Aber auch hier gab es nur sehr wenige Patienten,

bei denen das Tumorwachstum so gebremst werden konnte. Bis

vor etwa fünf Jahren waren alle Bemühungen, das Immunsys-

tem zur Behandlung von Krebs einzusetzen, entmutigend.

>>>

Killerzellen oder Lymphozyten:

Erkennt unser Immunsystem einen Krankheits-

erreger, also Viren, Bakterien oder eben auch

Krebszellen, schickt es Lymphozyten, die soge-

nannten Killerzellen aus, den Erreger zu zer-

stören.

Viren

sind infektiöse Partikel, die Krankheiten

übertragen. Um sich zu vermehren, benötigen

Viren eine Wirtszelle, in die sie sich einnisten.

Einige Viren zerstören ihre Wirtszelle, nachdem

sie sich vermehrt haben.

Antikörper

sind Eiweißmoleküle, die unser

Immunsystem erzeugt. Sie docken an ganz

bestimmten Stellen einer Zelle an und beeinflus-

sen deren Verhalten. Antikörper können auch

synthetisch hergestellt und als „Medikament“

verwendet werden.

Rezeptoren

zum Beispiel an der Oberfläche

einer Zelle erlauben es ganz bestimmten kleinen

Molekülen oder Teilen größerer Moleküle, nach

dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an der Zelle

anzudocken.

Als

Checkpoints

werden bestimmte Rezeptoren

auf den Killerzellen bezeichnet, die die Aktivität

der Zellen beeinflussen. Checkpoint-Hemmer blo-

ckieren oder hemmen deren Funktion.