1 2013
Esslinger Gesundheitsmagazin 11
>>>
Nach Eingriffen:
Den
Schmerz
ausschalten
Schmerz ist etwas sehr Individuelles.
„Schmerzen derselben Ursache können
von zwei Menschen völlig unterschiedlich
wahrgenommen werden“, sagt Privatdo­
zent Dr. Ulrich Bissinger, Chefarzt der Kli­
nik für Anästhesiologie und operative
Intensivmedizin. Wie stark und belastend
ein Schmerz empfunden wird, hängt von
vielen persönlichen Umständen ab. „Dabei
spielen hormonelle Einflüsse, psychische
Verfassung, Stress oder frühere Erfahrun­
gen mit Schmerzen eine wesentliche
Rolle“, erklärt Dr. Bissinger. Auch ist
bekannt, dass Schmerzempfinden bei
Männern und Frauen unterschiedlich sein
kann.
„Bei der Beurteilung von Schmerzen kann
es daher nur einen Experten geben, und
das ist der Patient selbst“, sagt der Chef­
arzt. Nur er könne angeben, ob Schmer­
zen für ihn noch erträglich oder bereits
unerträglich seien, wie sehr sie ihn beein­
trächtigten und ob die durchgeführte
Behandlung eine ausreichende Linderung
bewirke. „Um die Schmerzen der Patien­
ten für Ärzte und Pflegepersonal ein­
schätzbar zu machen, benutzen wir heute
Schmerzskalen, die es uns erlauben, mit
Hilfe von Zahlen oder Worten die Stärke
der Schmerzen zu messen, Aufschlüsse
über die Wirksamkeit einer Behandlung
zu erhalten und eine Schmerztherapie bei
Bedarf immer neu anzupassen.“
Schmerzbeurteilung
bei Kindern
Bei Kindern besteht das Problem der
Schmerzmessung darin, dass die bei
Erwachsenen gebräuchlichen Schmerz­
skalen erst ab dem Schulalter verwendet
werden können, während Neugeborene,
Säuglinge und Kleinkinder noch nicht in
der Lage sind, Schmerzen zu äußern.
Bissinger: „So kann beim Säugling etwa
die Weigerung, etwas zu trinken oder die
Ablehnung von Berührung auf das Vor­
handensein von Schmerzen hindeuten.“
Um entscheiden zu können, ob ein Kind
Schmerzen hat oder nicht, setzen die
Schmerzexperten daher speziell für Kin­
der geeignete Schmerzskalen ein, die
anhand einer Kombination von verschie­
denen altersentsprechenden Zeichen die
Messung von Schmerzen erlauben.
Schmerzkonzepte am
Klinikum Esslingen
Während man bis vor einigen Jahren der
Meinung war, dass Schmerzen nach einer
Operation zwangsläufig dazugehören,
wird heute die postoperative Schmerz­
therapie als wichtige Komponente im
Gesamtheilungsprozess gesehen.
„Für den operativen Bereich haben wir
Anästhesisten am Klinikum Esslingen in
enger Zusammenarbeit mit den chirurgi­
schen Fachabteilungen fortschrittliche
Konzepte für die Akutschmerztherapie
entwickelt, die es uns ermöglichen, die
Schmerzen unserer Patienten wirkungs­
voll zu bekämpfen“, erläutert Dr. Bissinger.
„Unsere schmerztherapeutischen Verfah­
ren sind in chirurgische „Fast-Track“-Kon­
zepte, eingebettet, die den Genesungs­
prozess unserer Patienten beschleunigen
können und eine raschere Entlassung aus
dem Krankenhaus erlauben.“
Eine optimierte Schmerztherapie hat für
die Patienten deutliche Vorteile: Der
Anästhesist übernimmt neben der Nar­
kose die komplette schmerztherapeuti­
sche Patientenbetreuung während der
Operation und direkt danach im Auf­
wachraum. Intraoperativ stehen zum
Ausschalten von Schmerzen eine breite
Auswahl individuell verwendbarer
Schmerzmedikamente, die Verfahren der
rückenmarksnahen Regionalanästhesien
sowie eine Reihe von örtlichen Möglich­
keiten der Schmerzausschaltung zur Ver­
fügung. Im Anschluss an die Operation
kümmert sich der Anästhesist in enger
Zusammenarbeit mit den chirurgischen
Kollegen auch um die postoperative
Schmerztherapie (postoperativ = nach
der Operation) auf den Stationen. Diese
ermöglicht zum einen eine rasche Mobi­
lisierung der Patienten, wodurch schwer­
wiegende Komplikationen wie Lungen­
entzündungen, tiefeBeinvenenthrombosen
und Lungenembolien erheblich reduziert
werden können. „Zum anderen normali­
sieren sich die Organfunktionen von Herz­
kreislaufsystem, Lunge und Verdauungs­
trakt rascher, so dass im Endeffekt bei
verbesserter Behandlungsqualität die
Kran­kenhausverweildauer in vielen Fällen
verkürzt werden kann“, so Dr. Bissinger.
Eine wirksame Schmerztherapie beugt
zudem einer Chronifizierung von Schmer­
zen als langfristigem Folgeschaden einer
Operation vor. Damit ist die Schmerzthe­
rapie zu einem wichtigen Baustein in der
Therapie der Patienten geworden.
Drei-Stufen-Schema der WHO
„Das Prinzip unseres Schmerzkonzepts
basiert auf einem seit langem bewährten,
von der Weltgesundheits-Organisation
entwickelten Drei-Stufen-Schema, das in
Abhängigkeit von der Schmerzintensität
in jeder Stufe eine sinnvolle Kombination
verschiedener Schmerzmittel erlaubt und
bei Bedarf durch zusätzlicheMedikamente
sowie nichtmedikamentöse Behandlungs­
methoden ergänzt werden kann“, sagt der
Chefarzt. Damit kann eine Schmerzbe­
handlung dem individuellen Schmerzaus­
maß der Patienten angepasst werden. Die
Gabe der Schmerzmedikamente erfolgt
„Bei der Beurteilung von Schmer­
zen kann es daher nur einen
Experten geben, und das ist der
Patient selbst.“
1...,2,3,4,5,6,7,8,9,10 12,13,14,15,16,17,18,19,20,21,...51