1 2013
Esslinger Gesundheitsmagazin 13
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Wer chronische Schmerzen hat, wird in
der Apotheke schnell fündig. Die Auswahl
an Medikamenten ist riesig, die Verspre
chen auf völlige Schmerzfreiheit sind
groß. So greifen Millionen Menschen
regelmäßig zur Pille. „Patienten mit chro
nischen Schmerzen therapieren in der
Regel ihr Leiden zunächst selbst“, sagt Dr.
Beate Schleth, Fachärztin für Anästhesi
ologie und Spezielle Schmerztherapie aus
Denkendorf. Eine Weile mag das helfen.
Doch der Preis ist hoch. Wer täglich gän
gige Schmerzmittel wie Paracetamol,
Ibuprofen oder Diclofenac einnimmt,
muss wegen der großen Nebenwirkun
gen dieser Mittel um die Gesundheit von
Nieren, Leber, Magen-Darm und Herz-
Kranz-Gefäße fürchten. Doch was tun,
wenn der Schmerz anhält?
Maßgeschneiderte Therapie
gegen chronische Schmerzen
Schmerztherapeutin Dr. Beate Schleth
behandelt seit vielen Jahren Patienten mit
chronischen Schmerzen. „Chronische
Schmerzen sind oft nur mit einer spezi
elle, sogenanntenmultimodalen Schmerz
therapie und einem maßgeschneiderten
Therapieplan in den Griff zu bekommen“,
sagt sie. Deshalb nimmt sie sich zunächst
viel Zeit für das erste Gespräch. „Viele
Patienten haben bereits eine jahrelange
Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich und
kommen oft verzweifelt in meine Pra
xis“, sagt Dr. Schleth. Oft wird sie zur
letzten Hoffnung. Das Spektrum der
von ihr behandelten Schmerzen reicht
von Kopf- und Rückenschmerzen über
Ganzkörperschmerzen (generalisierten
Schmerzen) bis hin zu speziellen Schmerz
syndromen.
Lebensgeschichte des
Patienten
Durchschnittlich eineinhalb Stunden dau
ert die Erstuntersuchung, zu der auch die
Lebensgeschichte des Patienten gehört.
Zudem lässt sich Dr. Schleth den Schmerz
ganz detailliert beschreiben. „Daran kann
ich meist schon gut eingrenzen, ob es sich
um einen entzündlichen, myofaszialen,
also muskulär ausgelösten, oder neuropa
thischen, das heißt von Nerven verursach
ten Schmerz handelt“, erklärt sie. So wird
etwa bei vielen Patienten mit Rücken
schmerzen in der Kernspintomografie ein
Bandscheibenvorfall festgestellt. Der
Schluss liegt nahe, dass der Bandschei
benvorfall Auslöser des Schmerzes ist und
eine Operation Abhilfe schaffen würde.
Doch oft entsprechen die Ausstrahlung
der Schmerzen und ihre Beschreibung
nicht demMuster eines „radikulären“, also
durch Druck der Bandscheibe auf die ent
sprechende Nervenwurzel ausgelösten
Schmerzes. Prüfung der Hautempfindlich
keit, Kraft und der Reflexe geben weitere
wichtige Hinweise für die Unterscheidung
zwischen radikulären Symptomen und
den wesentlich häufigeren muskulär
bedingten Schmerzmustern. Viele Patien
ten berichten von etlichen Operationen in
ihrer Vorgeschichte, nach denen die
Schmerzen unverändert weiter bestan
den. Gerade bei Rückenoperationen weiß
man heute, dass in der Vergangenheit viel
zu häufig unnötig operiert wurde. Laut
einer Erhebung der Techniker Kranken
kasse von 2011 sind sogar 80 Prozent der
Operationen nicht notwendig.
Was führt dazu, dass Schmerzen chronisch
werden und zunehmend ein Eigenleben
entfalten? „Bei chronischen Schmerzen
sind die schmerzhemmenden Systeme
überfordert“, erklärt Dr. Schleth. Verstärkt
wird das bei einem Teil der Patienten auch
durch hohe innere Anspannung, eine
Angststörung oder eine pessimistische
Krankheitsüberzeugung. Wenn also ein
Patient von vorn herein davon überzeugt
ist, sein Rücken sei völlig kaputt, „dann
lebt er in der Vorstellung, dass man nichts
mehr machen kann“, so Dr. Schleth. „Es
lohnt sich deshalb immer, die Lebensge
schichte eines Patienten mit all ihren
Belastungen anzuschauen.“ Daran könne
sie auch gut erkennen, mit welchen Mus
tern der Patient gewohnt ist, Krisen
durchzustehen – denn Schmerz ist eine
Krise. Typische Mechanismen sind zum
Beispiel Durchhalten, Selbstüberforde
rung, Konfliktvermeidung oder Katastro
phisieren. „Oft traut sich ein Patient nicht
zu, vorhandene Konflikte zu lösen und
entwickelt im Laufe der Zeit stattdessen
körperliche Symptome“, sagt die Schmerz
therapeutin. Selbst bei typischen Ver
schleißerkrankungen wie den Arthrosen
ist von Bedeutung, ob der Patient musku
lär entspannen kann und durch lockere
Bewegung drohenden Fehlhaltungen und
Überlastungen entgegenwirkt. „Körperli
che und seelische Bedingungen hängen
Der ewige
Schmerz
„Körperliche und seelische
Bedingungen hängen auf engste
Weise miteinander zusammen.“
Selbstverordnete Medikamente
sind bei chronischen Schmerzen
häufig keine Lösung